Am 15. Januar 1433 stürzte Agnes, Herzogin von Schleswig und Gräfin von Holstein, im Schloss Gottorf so unglücklich eine Treppe hinunter, dass bei der hochschwangeren Herzogin die Wehen einsetzten und sie am nächsten Tag ein gesundes Zwillingspärchen zur Welt brachte. Ein Unfall mit eigentlich gutem Ausgang. Denn er beendete die Nachwuchssorgen der Landesherren aus dem Haus der Schauenburger. Doch der Treppensturz beschäftigte bald selbst Kaiser und das Konzil von Basel – die höchste kirchliche Instanz dieser Zeit. Er endete mit dem Tod der Zwillinge und lebenslanger Haft der Herzogin.
In Baden war Agnes am 26. März 1408 als Tochter des Markgrafen Bernhard I. von Baden geboren worden. Dort wuchs sie im illustren Umfeld des europäischen Hochadels zu einer eigenwilligen jungen Dame heran. Dazu gehörte, dass sie 22-jährig beim Tode ihres Vaters 1431 noch immer ledig war. Ihr nun regierenden Bruder arrangierte für sie 1432 die Heirat mit Herzog Gerhard VII. von Schleswig. Der 1404 geborene Gerhard war zusammen mit seinem Bruder Adolf VIII. der letzte Nachkomme der Schauenburger. Diese regierten seit 1110 die Grafschaft Holstein und hatten 1431 Flensburg erobert und damit auch das Herzogtum Schleswig unter ihre Herrschaft gebracht. Adolf war ohne Erben geblieben. So hoffte man nun, der jüngere Gerhard könne die Dynastie erhalten. Als die Wahl dabei auf eine badische Markgrafentochter fiel, überraschte das. Agnes war jedoch nicht nur eine standesgemäße Partie, sie sicherte durch ihre Verwandten die Schauenburger im Reich auch zusätzlich ab. Als die Heirat vereinbart war, ging alles ungewöhnlich schnell. Bevor überhaupt von den Badenern geprüft war, ob Gerhard Agnes standesgemäß versorgen konnte, heirateten die beiden um den 2. Juni 1432. Das frischvermählte Paar trennte sich jedoch gleich wieder, ohne eine „offizielle“ Hochzeitsnacht gehalten zu haben. Gerhard zog in den Norden, um die Grenze zu sichern. Agnes blieb auf Gottorf, und erst am 5. Oktober 1432 wurde das offizielle Beilager vollzogen. Doch schon am 16. Januar 1433 kamen die Zwillinge Heinrich und Katharina zur Welt. Es rumorte im Land – jedem, der rechnen konnte, war klar, dass im Oktober gezeugte Kinder im Januar nicht lebensfähig geboren werden.
Die legitime Erbfolge war in ernster Gefahr, eine Blamage unausweichlich. In dieser Krise griffen Gerhard und Adolf zu drastischen Mitteln. Anfang Februar 1433 versammelten die Brüder ihre getreuen Ritter im Innenhof des Gottorfer Schlosses. Im diesem ersten Akt bekundete Gerhard – ganz Kavalier – feierlich, dass er nach seiner Hochzeit im Juni seine Frau gegen alle Konvention „hatte heymelich beslaffen und warlich Juncfrawe gefunden“. Hochgestellte Damen, Hebammen und Ärzte aus dem ganzen Land mussten bestätigen, es handele sich um Siebenmonatskinder. Diese Aussagen wurden im Schleswiger Dom vor Klerus und Ratsherrn bekräftigt, zusätzlich noch 1433 von einer großen Landesversammlung in Bornhöved bestätigt sowie die Folgen des Treppensturzes schließlich durch die Bischöfe von Schleswig und Lübeck verbrieft und besiegelt. Damit waren die Gerüchte vorerst zur Ruhe gebracht. Doch konnte sich Agnes nicht lange freuen. Noch im Februar erkrankte Gerhard wohl an einer alten Lungenkrankheit. Da die Ärzte ihm nicht helfen konnten, beschloß Agnes, mit ihm – gegen den Willen Adolfs und der Ärzte – auf eine Kur ins heutige Baden-Baden zu fahren. Auf der Reise in Köln verschlechterte sich sein Zustand so dramatisch, dass er umkehrte. Auf dem Rückweg starb Gerhard VII. am 24. Juli 1433 in Emmerich am Rhein und wurde dort begraben.
Agnes reiste mit ungutem Gefühl nach Norden. Adolf und sie mochten einander nicht. Die Ritterschaft hatte sie durch ihr teures und prunkvolles Auftreten und „Kultivierungsversuche“ vergrätzt. Die Zweifel an der Legitimität ihrer Kinder kamen wieder hoch. Als Agnes in Hamburg eintraf, musste sie erfahren, dass ihr Schwager ihr die Einreise nach Holstein verboten hatte. Gleichzeitig weigerte er sich, sie in ihren Witwenteil einzusetzen. Durch die (jetzt wieder) unehelichen Kinder habe sie die Würde des Hauses verletzt. Im August 1433 begann ein Tauziehen um ihre Ansprüche, bei dem die Hansestädte, der Kaiser und das Baseler Konzil eingeschaltet wurden. Doch auch nach über zehn Jahren war nichts geklärt.
Adolf VIII. hatte sich der Kinder bemächtigt, um auch dieses Druckmittel zu entschärfen. Die Chronik der „Nortelvischen Sassen“ berichtet hierzu, dass der Rat der Lande Adolf geraten habe, die Zwillinge zu „vorbringen“. Das bedeutete soviel wie „im Rang erniedrigen“ oder auch „beiseite schaffen“. Letzteres passierte. Im Januar 1434 wurde die einjährige Katharina im Kloster Preetz als Nonne eingekleidet, wo sie bald darauf starb. Sohn Heinrich wurde von einem „Schalck“ zum Spielen auf den Alsensund oder die Schlei geschickt und ertrank. Damit hatte sich die Frage nach der Echtheit der Zwillinge erledigt. Die Schauenburger standen jedoch auch ohne Erben da, was nach Wirren 1460 (Privileg von Ripen) zur Wahl des dänischen Königs Christian I. von Oldenburg zum Landesherren führte.
Agnes kehrte ohne Kinder und ohne Geld nach Baden zurück und hatte durch eine überstürzte Abreise auch alle Aktionen des Markgrafen zu ihren Gunsten vereitelt. Schon bald nach ihrer Ankunft in Baden lebte ihre voreheliche Liaison mit Hans van Höwen wieder auf, der öffentlich als ihr Ritter auf Turniere zog. Um die Lage einigermaßen zu retten, plante der Markgraf von Baden, Agnes mit dem Herzog von Schlesien-Oels zu verheiraten. Dessen Schwester wiederum sollte mit Adolf VIII. vermählt werden. Damit ergab sich die Chance auf einen finanziellen Ausgleich. Doch Agnes lehnte den Plan strikt ab und verlobte sich heimlich mit Hans von Höwen. Das brachte das Fass zum Überlaufen. 1434 oder 1435 ließ der Markgraf seine Schwester in der Feste Alteberstein gefangensetzen. Er war bis zu seinem Tode weder auf Bitten von Freunden noch auf Drängen des Baseler Konzils bereit, sie wieder freizulassen. Agnes, die Herzogin von Schleswig und Gräfin von Holstein, musste so die letzten Jahrzehnte ihres Lebens auf dieser Burg als Gefangene ihres Bruders verbringen. Der verfügte noch in seinem Testament, sie keinesfalls freizulassen. Sie verstarb, erblindet und von der Welt vergessen, in den ersten Wochen des Jahres 1473. Mit ins Grab nahm sie das Geheimnis, wer der Vater der Zwillinge war.
Carsten Jahnke (0401/0821)
Lesetipp: Peter Hirschfeld, Markgräfin Agnes von Baden, Gemahlin Herzog GerhardsVII. von Schleswig. Neumünster 1957. Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins, Band 34.