Kiel Institut für Weltwirtschaft

Das erste Quartier des neuen Instituts am Schlossgarten in Kiel
Das erste Quartier des neuen Instituts am Schlossgarten in Kiel

Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) ist ein international renommiertes Zentrum angewandter und evidenzbasierter wirtschaftswissenschaftlicher Forschung. Das An-Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zählt zu den sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten. Mit einer kurzen Unterbrechung von 2013 bis 2016 gehört das IfW zum Kreis der Institute, die für die Bundesrepublik Deutschland die Frühjahrs- und Herbstgutachten erstellen. Es vertritt heute wirtschaftsliberale und überwiegend arbeitgeberfreundliche Positionen.

Start als Königliches Institut

Das IfW wurde am 20. Februar 1914 als „Königliches Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft“ eröffnet. Der Gründungsdirektor Bernhard Harms (*1876-1939†) wollte eine Stätte innovativer und stark empirisch gestützter wirtschaftswissenschaftlicher Forschung gründen, welche zugleich das imperiale deutsche Großmachtstreben unterstützen sollte. Finanzielle und politische Förderer waren die Kaiserfamilie, die Marine, kolonialistische Lobbygruppen, Reeder, Bankiers und Industrielle. Im IfW wurden zum ersten Mal in Deutschland überhaupt eine Forschungsabteilung, ein Wirtschaftsarchiv, eine Bibliothek und eine Redaktion zur Herausgabe mehrerer Zeitschriften und von Monografien unter einem Dach zusammengebracht. 1920 sollte noch der Wirtschaftswissenschaftliche Club (WWC) hinzukommen. Der erste Standort war im Schlossgarten 14, seit 1920 ist das Institut in einem ehemaligen Hotel des Rüstungsindustriellen Krupp im Stadtteil Düsternbrook beheimatet.

Das Siegel des neuen Institutes Die Büste von Bernhard Harms, dem ersten Direktor des IfW
Die Büste von Bernhard Harms, dem ersten Direktor des IfW

Das Institut im Ersten Weltkrieg …

Mit der Herausgabe der „Kriegswirtschaftlichen Nachrichten“, einer mehrmals wöchentlich einem Abonnentenkreis aus Militärs, Industriellen und Handelsfirmen zugehenden Informationssammlung zum Geschehen im Wirtschaftskrieg, konnte das IfW ab 1915 seine finanziellen Ressourcen und seine politische Bedeutung stark steigern. Zu Beginn des Krieges schlug Harms einen kriegsbegeisterten Kurs ein, sprach sich für eine Ausweitung des U-Boot-Krieges aus und betrieb üble Kriegshetze gegen Großbritannien. Im späteren Kriegsverlauf trat er für einen „Kompromissfrieden“ ein und tolerierte den dezidierten Pazifisten Hans Wehberg als Mitarbeiter.

... und der Weimarer Republik

Das Siegel des neuen Institutes
Das Siegel des neuen Institutes

In der Zeit der Weimarer Republik nahm das IfW zunächst politisch und bald auch in wissenschaftlicher Hinsicht eine herausragende Rolle ein. Zum Teil eher konservativ „vernunftrepublikanisch“ und zum Teil der Sozialdemokratie zuneigend, begrüßten die meisten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die Demokratie und entfalteten ein großes zivilgesellschaftliches Engagement. Dazu gehörte seit 1920 die Beteiligung an der „Kieler Herbstwoche für Kunst und Wissenschaft“. Das Institut wollte ebenso wie die Stadt nicht auf die Marine und (Rüstungs-)Industrie fokussiert bleiben, sondern einen international bedeutenden Kultur- und Wissenschaftsstandort aufbauen. Die liberale Grundhaltung stellte einen Standortvorteil dar, durch den man hervorragende Wissenschaftler wie Adolf Löwe, Gerhard Colm und den späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Wassily Leontief gewinnen konnte. Durch die Arbeit der 1926 gegründeten Abteilung für Statistische Weltwirtschaftskunde und internationale Konjunkturforschung (Astwik) wurde das IfW „Weltklasse für sieben Jahre“ (Harald Hagemann). Verfolgt wurde ein reformökonomischer Ansatz, der nicht allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes setzte, sondern sich auch für eine staatliche Konjunkturpolitik aussprach. Die Weltwirtschaftskrise stürzte das IfW ab 1930 in finanzielle Schwierigkeiten, die durch beträchtliche Fördersummen der Rockefeller Stiftung gemildert wurden.

Das IfW im Nationalsozialismus

Im Zuge der NS-Machtübernahme wurde das IfW im April 1933 mehrfach von SA-Leuten und nationalsozialistischen Studierenden überfallen. Nennenswerte Maßnahmen der Selbstbehauptung und der Solidarisierung mit den angegriffenen jüdisch-stämmigen und bekennend demokratischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen erfolgten nicht. Bernhard Harms wurde von der Leitung verdrängt und half selbst mit, eine scheinbar reibungslose Übergabe an den Nationalsozialisten Jens Jessen (*1895-1944†) zu organisieren. Dieser brachte unter anderem den Mitarbeiter Otto Ohlendorf (*1907-1951†) mit, der von 1941 an als Leiter einer Einsatzgruppe die Ermordung von ca. 90.000 Menschen veranlasste. Jessens Versuch, das IfW zu einer zentralen Akademie umzubauen, an der die künftige NS-Wirtschaftselite ausgebildet und wo die Wirtschaftspolitik des „Dritten Reichs“ vorgedacht werden sollte, scheiterte jedoch an regimeinternen Machtkämpfen. Später wandte Jessen sich dem Widerstand zu und wurde aufgrund seiner Beteiligung am Putschversuch des 20. Juli 1944 ermordet

Vom Frühling 1934 bis Herbst 1945 wurde das IfW von Andreas Predöhl (*1893-1974†) geleitet. Er versuchte, eine NS-Konformität mit einer Beibehaltung eines hohen wissenschaftlichen Standards sowie intensiven internationalen Kooperationen zu verbinden. Die wissenschaftliche Tätigkeit wurde stark auf Drittmittel ausgerichtet und in flexiblen Gruppen durchgeführt. Mitte der 1930er Jahre war besonders die Forschungsgruppe Marktordnung und Außenwirtschaft unter der Leitung des Habilitanden und späteren Bundeswirtschafts- und Finanzministers Karl Schiller bedeutend, die anfangs mit Mitteln der Rockefeller Stiftung arbeitete. Für die Jahre 1940-45 ist besonders der Raumforscher August Lösch hervorzuheben, dessen Gruppe Auftragsforschung für das Auswärtige Amt, das Rüstungsministerium sowie andere staatliche Stellen abarbeitete.

1920 war das Institut in das Kruppsche Anwesen, das ehemalige Logierhaus des Kaiserlichen Yachtclubs umgezogen
1920 zog das Institut in das Kruppsche Anwesen um, das ehemalige Logierhaus des Kaiserlichen Yachtclubs

Forschen für den Wirtschaftskrieg

Von 1938 an bereitete sich das IfW auf den von der politischen Führung angestrebten Krieg vor. Mit dem Wehrwirtschaftsgeneral Georg Thomas wurde vereinbart, dass das IfW sich dann sofort auf die Erarbeitung von Analysen der eigenen Kriegswirtschaft sowie die Möglichkeiten der Führung eines Wirtschaftskrieges konzentrieren würde. Einige Testgutachten im ersten Halbjahr 1939 waren zufriedenstellend, sodass die Kooperation zwischen dem Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt der Wehrmacht sowie dem IfW im September 1939 anlief. Die mehreren hundert abgelieferten Kurzberichte und längeren Gutachten bedurften keiner Ideologisierung, denn nüchterne wissenschaftliche Expertisen über die Wirtschaft bestimmter Länder, insbesondere deren Rohstoffe und Infrastruktur, erleichterten die praktische Verwendung. Im Gegenzug erhielt das IfW ausreichende finanzielle Mittel, privilegierten Zugang zu Büchern und internationalen Zeitungen und Zeitschriften sowie vor allem den Status der Unabkömmlichkeit eines großen Teils seiner Mitarbeiter zum Kriegsdienst. Ab Sommer 1942 verschob sich die Forschung zunehmend zum Rüstungsministerium. In der Endphase des Krieges ab Herbst 1944 wurde in Kooperation mit dem Unterstaatssekretär Otto Ohlendorf vor allem dem Reichswirtschaftsministerium zugearbeitet.

Als einer der führenden Ökonomen des Reiches setzten sich Predöhl und weitere IfW-Mitarbeiter wie Schiller ferner für das Projekt eines nationalsozialistisch geprägten Europäischen Wirtschaftsgroßraumes ein. Durch weitere Funktionen wie jener als Rektor der Uni Kiel von November 1941 bis April 1945 engagierte sich Predöhl zunehmend als akademisch verbrämter NS-Propagandist und stärkte während der Luftangriffe mit Durchhalteparolen die innere Stabilität des Regimes. Auf Druck des Bibliothekars Wilhelm Gülich wurden zunächst die Institutsbibliothek, vom Sommer 1944 an auch der Rest der Abteilung und fast alle MitarbeiterInnen in das von Bomben verschonte Ratzeburg ausgelagert. Dort wurde die Forschung im Auftrag des NS-Regimes bis mindestens im März 1945 fortgesetzt. Ein Großteil der Kieler Institutsgebäude sowie des Wirtschaftsarchivs wurde durch Bomben zerstört. 

Kontinuitäten und Brüche

Im November 1945 setzten die britischen Besatzungsbehörden Predöhl als Leiter ab. Obwohl Gülich eindringlich auf dessen NS-Propaganda hinwies, konnte Predöhl seine Entnazifizierung erreichen, 1953 an die Universität Münster wechseln, dort das Institut für Verkehrswissenschaft leiten und 1965 in Hamburg das Deutsche Übersee-Institut gründen (heute: GIGA). Erst Jahrzehnte später wurde im IfW die Haltung überwunden, es habe im Nationalsozialismus eine „klare und saubere Trennung von Wissenschaft und Politik“ (so eine Institutsgeschichte von 1964) gegeben. Nach einigen Interimsleitungen, unter anderem von Friedrich Hoffmann (*1880-1963†), wurde 1948 Fritz Baade (*1893-1974†) neuer Institutsdirektor. Mit Baade, einem der „Väter des Grundgesetztes“, und Gülich stellte das IfW zwei Mitglieder des ersten Bundestags (beide SPD). Die Parlamentsbibliothek wurde nach dem Vorbild und mit fachlicher Unterstützung der IfW-Bibliothek eingerichtet. Unter Baades Leitung wurde das IfW bald wieder ein bedeutendes Zentrum der Wirtschaftsforschung, wozu insbesondere die politische Vernetzung (z.B. Beratung zum Marshallplan) sowie die herausragende Bibliothek beitrugen. 

Das Institut wird Stiftung

Der von 1961 bis 1968 amtierende Direktor Erich Schneider (*1900-1970†) konzentrierte die Institutsaktivitäten stärker auf Grundlagenforschung und Lehre. In seiner Amtszeit wurde unter anderem der Bernhard-Harms-Preis eingerichtet, dessen erster Preisträger der international renommierte und 1933 aus dem IfW geprügelte Gerhard Colm wurde. Die Jahre 1969-89 wurden durch eine stark angebotsorientierte Forschung und durch die autoritäre Führung des Präsidenten (nun nicht mehr Direktor) Herbert Giersch (*1911-2010†) geprägt. Ihm folgten der bekennende Marktwirtschaftler und engagierte Umweltforscher Horst Siebert (*1938-2009†) sowie Dennis Snower (*1950), welcher die internationale Vernetzung förderte. 2009 wurde das Institut in eine unabhängige Stiftung des öffentlichen Rechts des Landes Schleswig-Holstein umgewandelt. Die Bibliothek wurde 2007 mit dem Hamburgischen Welt-Wirtschaftsarchiv (HWWA) zusammengelegt und ist inzwischen als ZBW-Leibniz Informationszentrum Wirtschaft ein eigenständiges Institut. Das IfW beschäftigt heute rund 180 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. 

Die neue Bibliothek bei Nacht
Die neue Bibliothek bei Nacht

Gunnar Take*) (0222*)

*)Frank Omland vom Arbeitskreis zur Erforschung zur Erforschung des Nationalsozialimus in Schleswig-Holstein e.V. (AKENS), hatte uns 2011 darauf hingewiesen, dass die Geschichte des IfW besonders in Bezug auf den Nationalsozialismus in das A-Z der Homepage der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte gehöre und sie geschrieben. Mit der Arbeit von Gunnar Take 2019 sind die Erkenntnisse gerade über diese Zeit vergrößert und vertieft worden. So haben Frank Omland und die Redaktion Gunnar Take gebeten, eine aktualisierte Form zu schreiben.

Literaturhinweise: 
Arbeitskreis Asche-Prozeß: Antifaschistische Stadtführungen. Kiel 1933-1945. Stationen zur Geschichte des Nationalsozialismus in Kiel. Kiel 1998, S.38f; Harald Czycholl: 100 Jahre Institut für Weltwirtschaft. Vom Königlichen Institut zum globalen Forschungszentrum. Hamburg 2014; Christoph Dieckmann: Wirtschaftsforschung für den Großraum. Zur Theorie und Praxis des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und des Hamburger Welt-Wirtschafts-Archivs im „Dritten Reich“. In: Modelle für ein deutsches Europa. Ökonomie und Herrschaft im Großwirtschaftsraum. Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 10 (1992), S. 146-198; Hans-Georg Gaeßler: Christian Bernhard Cornelius Harms. In: Kieler Lebensläufe aus sechs Jahrhunderten. Hgg. von Hans F. Rothert. Neumünster 2006, S. 123-126; Harald Hagemann: Zerstörung eines innovativen Forschungszentrums und Emigrationsgewinn. Zur Rolle der „Kieler Schule“ 1926-1933 und ihrer Wirkung im Exil. In: ders. (Hg.) Zur deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, Marburg 1997; Harald Hagemann: Weltklasse für sieben Jahre. Die Konjunkturabteilung des Instituts für Weltwirtschaft 1926-1933. In: Christiana Albertina. Forschungen und Berichte aus der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Heft 67, November 2008, S. 52-70; Susanne Heim/Götz Aly: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung. Frankfurt am Main 1993; Matthias Hochstätter: Karl Schiller – eine wirtschaftspolitische Biographie. Saarbrücken 2008; Friedrich Hoffmann: Die Geschichte des Instituts für Weltwirtschaft (Von der Gründung bis zum Ausscheiden des Gründers). Teil 1: Die Geschichte der äußeren Gestaltung. Teil 2: Die Geschichte der inneren Entfaltung. Teil 3: Kleine Erlebnisse mit und um Bernhard Harms. Unveröffentlichtes Manuskript. Kiel 1941-1944; Fünfzig Jahre Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Reden und Ansprachen anläßlich des Festakts am 18. Februar 1964 im Stadttheater Kiel. Kiel 1964; Torben Lütjen: Karl Schiller (1911-1994). „Superminister“ Willy Brandts. Bonn 2007; Hans-Christian Petersen: Expertisen für die Praxis. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft 1933 bis 1945. In: Christoph Cornelissen/Carsten Mish (Hg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Christian-Albrechts-Universität im „Dritten Reich“. Essen 2009; Rolf Seeliger: Braune Universität. Deutsche Hochschule gestern und heute. München 1968; Ralph Uhlig (Hrsg.): Vertriebene Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität Kiel nach 1933. Frankfurt am Main 1992; Gunnar Take: Forschen für den Wirtschaftskrieg. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft im Nationalsozialismus, 2019. Berlin 2019; Gunnar Take: Die Universität Kiel im April 1933. Nationalsozialistische Wissenschaftspolitik „von unten“ und „von oben“. In: Demokratische Geschichte 29, 2018, S. 77-98; Anton Zottmann: Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel 1914-1964. Kiel 1964.

Bildquellen: sämtliche Abbildungen stammen aus dem Archiv des Kiel Institut für Weltwirtschaft und wurden vom IfW zur Verfügung gestellt