Der Alpenstrandläufer ist ein Symboltier des Wattenmeeres
Der Alpenstrandläufer ist ein Symboltier des Wattenmeeres

Als am 1. Oktober 1985 Schleswig-Holstein sein Wattenmeer zum Nationalpark erklärte, herrschte Katerstimmung. Den Menschen vor Ort war das alles zu viel, den Naturschützern zu wenig, für die SPD-Opposition ein Etikettenschwindel, innerhalb der regierenden CDU nicht nur Grund für internen Streit zwischen Ost- und Westküstenabgeordneten. Die Mängel waren bekannt und das Ganze wurde als „Entwicklungskonzept“ auf den Weg geschickt. Entgegen aller Unkenrufe entwickelte sich der Nationalpark. Seit 2009 ist er Weltnaturerbe, die Zustimmung an der Küste ist hoch und allgemein, das Wattenmeer ist inzwischen nicht nur vor Schleswig-Holstein als einmaliges marines Biotop unter dem höchsten Schutz. 

Impuls der Jäger

Das Wattenmeer – zunächst ging es vor allem um das nordfriesische – großräumiger zu schützen, forderten Vogel- und Naturschützer immer lauter seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Doch es war die Jägerschaft, die den auslösenden Impuls für einen Nationalpark gab. Schon 1969 unterbreitete der Landesjagdverband dem damaligen Landwirtschaftsminister Ernst Engelbrecht-Greve (*1916-1990†) den Vorschlag, aus dem nordfriesischen Wattenmeer einen Nationalpark zu machen. Der CDU-Landesminister ließ den Vorschlag prüfen. Zunächst wurde jedoch das Watt als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Das tat Klaus Petersen (*1922-2013†), erster Landrat des 1970 entstandenen Landkreises Nordfriesland im November 1971. Damit sollten vor allem die Pläne der Bundeswehr durchkreuzt werden, die das Watt als Übungsgebiet nutzen wollte.

Die Nationalparkidee nimmt Fahrt auf

Die Angst um die Zukunft „traditioneller Nutzungen“ wie den Krabbenfang ließen den Widerstand gegen einen Nationalpark wachsen
Die Angst um die Zukunft „traditioneller Nutzungen“ wie den Krabbenfang ließen den Widerstand gegen einen Nationalpark wachsen

Am Ende seines Besuchs stellte der Bundesnaturschutzbeauftragten Prof. Bernhard Grzimek (*1909-1987†) am 16. Juli 1971 fest: „Das nordfriesische Wattenmeer hat die beste Chance, Deutschlands erster wirklicher Nationalpark zu werden“. Die Naturschützer griffen das begeistert auf, als am 3. Juni 1972 nicht zufällig in Husum der „Deutsche Naturschutztag“ ausgerichtet wurde. Die Idee kam damit öffentlich ins Bewusstsein und in die Diskussion. Während die Schutzstation Wattenmeer Vorschläge erarbeitete und das Land am 16. April 1973 ein Naturschutzgesetz verabschiedete, das erstmals in der Nachkriegszeit im Paragraphen 15 den Begriff „Nationalpark“ verankerte, wuchs der Widerstand.

Naturschutzgebiet statt Nationalpark

Das neue und damals hochmoderne neue Landesnaturschutzgesetz des Landes Schleswig-Holstein war Grundlage für das Landwirtschaftsministerium in Kiel, im Dezember 1973 einen Entwurf für ein Gesetz „Nationalpark Nordfriesisches Wattenmeer“ auf den Weg zu bringen. Doch zuerst hatten die Friesen Bedenken. Sie betrachteten das ganze Wattenmeer als ihren Kulturraum und wollten nicht fremd bestimmt werden. Dann hatten die Tourismusverbände Zweifel. Schließlich war der Widerstand an der Küste allgemein. Landrat Klaus Petersen hatte noch im August 1972 den Nationalpark grundsätzlich begrüßt, nun wurde er einer seiner profiliertesten Gegner.

Das „Küstenbewusstsein“

Es gelang am 22. Januar 1974 nur noch, das nordfriesische Wattenmeer als Naturschutzgebiet auszuweisen. Günther Flessner (*1930-2016†) war Ernst Engelbrecht-Greve 1975 als Landwirtschaftminister gefolgt. Er erlebte, wie der Kreistag in Nordfriesland im Januar 1976 den Nationalpark ablehnte, wie der Widerstand und der Unwillen an der Westküste ständig wuchsen. Am 22. April 1976 empfahl Flessner dem Kabinett, keinen Nationalpark weiter zu planen. Dabei blieb es, bis 1982 Gerhard Stoltenberg (*1928-2001†) als Ministerpräsident ausschied und nach Bonn ging. Erst sein Nachfolger Uwe Barschel (*1944-1987†) griff die Pläne für einen Nationalpark wieder auf. Diesen bereiteten wieder Günter Flessner und sein Abteilungsleiter Peter-Uwe Conrad vor. In ihrer Rückschau scheiterte der erste Versuch einen Nationalpark einzurichten vor allem an dem in Kiel unterschätzten „Küstenbewusstsein“.

„Nationale“ Nationalparke

Nach seinem Halligrundflug hatte Bernhard Grzimek 1971 geschwärmt, das Wattenmeer habe die Chance, „Deutschlands erster wirklicher Nationalpark zu werden“. Damit setzte er das Projekt gegen den bereits 1970 ausgewiesen Nationalpark bayrischer Wald ab. Der gründete sich vor allem auf Landesverordnungen und galt damit nicht als richtiger Nationalpark. In der Bundesrepublik war zu dieser Zeit jedoch noch das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 in Kraft. Das kannte keine Nationalparks. Damit waren die internationalen Regeln anzuwenden. Diese forderten Schutzgebiete ohne jegliche menschliche Nutzung. Weil das gerade im auch stark kulturgeprägten Wattenmeer nicht möglich erschien, verstärkte sich der Widerstand. Rechtlich änderte sich das, als 1977 mit starken Anleihen aus dem Landesgesetz aus Schleswig-Holstein von 1975 das erste Bundesnaturschutzgesetz entstand. Nun waren „nationale Nationalparke“ möglich, also solche, in denen das Miteinander von Mensch und Natur auch durch Zonierung organisiert werden konnte. Damit konnte auch in Schleswig-Holstein wieder ein Nationalpark Wattenmeer geplant werden. Allerdings, so räumten Flessner und Conrad ein, sei es beim zweiten Anlauf für den Nationalpark kaum gelungen, den grundsätzlichen Unterschied der alten Nationalparke nach Art des Yellowstone Nationalparks und den Möglichkeiten der „nationalen Nationalparke“ zu vermitteln.

Der große biologische Reichtum sind die Bewohner des Wattbodens wie die Wattschnecke
Der große biologische Reichtum sind die Bewohner des Wattbodens wie die Wattschnecke

Ein erbitterter Kampf

Peter-Uwe Conrad entschied sich am Start des Zweiten Anlaufs für eine „Große Lösung“. Auch das Watt vor Dithmarschen sollte Teil des neuen Nationalparks werden. Damit beide Teile mit gleichem Rechtsstatus antraten, wurde das Dithmarscher Watt im ersten Schritt Naturschutzgebiet. Im März 1984 ging der Entwurf für den nun großen Nationalpark in die Anhörung. Um diese Zeit verkündete Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (*1930-2014†), sein Wattenmeer solle nun Nationalpark werden. Das schreckte Schleswig-Holsteins überaus ehrgeizigen CDU-Ministerpräsidenten. Uwe Barschel wollte in Sachen Nationalpark nicht zweiter Sieger sein. Flessner und Conrad arbeiteten ihm zu bedächtig. Barschel erklärte den Nationalpark zur „Chefsache“. Die Staatskanzlei übernahm. Sie verkürzte den Entwurf bis er in ein 40-seitiges grünes Heft passte, wollte mit Kompromissen den Widerstand vor Ort brechen. Das gelang nicht, doch war der Naturschutz nun endgültig auf der Zinne. Seit 1982 wurde die Nordstrander Bucht eingedeicht und nun ein Nationalpark mit lauter Ausnahmen. Der Vorwurf: das Ganze sei ein Etikettenschwindel. Bundesweit bekam der Plan aus Barschels Staatskanzlei negative Schlagzeilen. Barschel zog die Notbremse. Flessner und Conrad mussten wieder übernehmen. Ziel war es nach wie vor, dass es in Schleswig-Holstein den ersten Wattennationalpark geben sollte. Da die Mehrheit der CDU knapp war, vor allem die CDU-Abgeordneten von der Westküste unter riesigem Druck standen, wurde der Entwurf weiter weichgespült. Kompromisse gab es schon viele, nun wurden ganze Bereiche – zum Beispiel die Jagd – ausgeklammert.

Keine Zeit für Denkpausen

Am 23. April 1985 kam das Gesetz in erster Lesung in den Landtag. Die SPD hatte einen Gegenentwurf vorgelegt. Sie spielte auf Zeit und forderte eine Denkpause von drei Jahren. Aber 1987 standen Landtagswahlen an und die SPD holte mit ihrem Hoffnungsträger Björn Engholm auf. Für Barschel stand fest, der Nationalpark musste kommen, jetzt 1985. Nach einer turbulenten Redeschlacht wurde das Gesetz mit 38 zu 34 Stimmen am 22. Juli auf den Weg gebracht. Am 1. Oktober 1985 startete der Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Barschel hatte sein Ziel erreicht, er war der Erste. 

Anfang mit einem Scherbenhaufen

Ende Juli 1985 stand Günter Flessner vor einem Scherbenhaufen. Er hatte den Auftrag einen Nationalpark zu schaffen, den niemand so wollte. Die Hektik von Barschel hatte ihn unglaubwürdig gemacht. Auch war es nicht gelungen zu erklären, was in den neuen „nationalen Nationalparken“ möglich war. Flessner war zu diesem Zeitpunkt tief enttäuscht. Er suchte deshalb als ersten Chef des Nationalparkamtes eine Person, die loyal war und der er blind vertrauen konnte. Seine Wahl ließ vor allem die Naturschützer aufheulen. Sie fiel ausgerechnet auf den Deichbauchef des Amtes für Land- und Wasserwirtschaft (ALW) Husum, auf Friedrich-Heddies Andresen (*1929-2021†). Der Eiderstedter Andresen war derjenige, der seit 1982 die Eindeichung der Nordstrander Bucht vorantrieb. Das Nationalparkamt nahm in Baracken neben dem historischen Wasser-und Schifffahrtsamt in Tönning am 1. Oktober 1985 seine Arbeit auf. Der Wasserbauer Andresen wechselte mehr aus Loyalität zu seinem Minister als aus innerer Überzeugung an die Spitze des Nationalparkamtes. Er durfte zum Start 14 junge Leute auswählen.

Landwirtschaftsminister Günter Flessner (links) setze mit Friedrich-Heddies Andresen auf einen Mann von der Küste

Mit Idealismus und Sturheit

Friedrich-Heddies Andresen hatte sich vor dem Wechsel von Husum nach Tönning durch das Verfahren zur Eindeichung der Nordstrander Bucht intensiv mit Naturschutz beschäftigt. In der Baracke entwickelte sich schnell eine Stimmung des Aufbruchs. Andresen verstand und verkaufte das Nationalparkgesetz im Sinne von Flessner als „Entwicklungskonzept“ und konnte so sein Amt mitreißen. Unermüdlich zog er durch Nordfriesland, stellte sich aufgebrachten Bürgern, ertrug Buh-Rufe und Pöbeleien. Ruhig und hartnäckig, auf Hoch- und Plattdeutsch, wieder und wieder erklärte er Sinn und Zweck des Nationalparks. 

Die Akzeptanz wächst und kollabiert …

Als Andresen 1992 in den Ruhestand ging, hatten er und sein Amt die Wende geschafft. Der Nationalpark gewann immer mehr Freunde und Befürworter. Das lag einmal an den Informationszentren, die entlang der Küste entstanden waren und dem 1999 vollendeten „Multimar Wattforum“ in Tönning. Vor allem erlebten die Menschen an der Küste, wie der Nationalpark die Attraktivität der ganzen Region steigerte. Doch in Tönning wurde parallel gearbeitet. Seit 1989 wurde mit Hochdruck an dem Projekt „Ökosystemforschung Wattenmeer“ gearbeitet. Im Abschlussbericht forderten die Wissenschaftler eine erhebliche Erweiterung des Nationalparks. Der Streifen von 150 Metern vor den Deichen sollte zum Nationalpark gehören, die Nullnutzunszonen sollten vergrößert werden, vor Sylt und Amrum ein zwölf Seemeilen breites Wahlschutzgebiet entstehen. Auch sollte es statt bisher drei nur noch zwei Schutzzonen geben. Wieder war alles zu viel, wieder gab es viel Widerstand. Mit einer Novelle des Nationalparkgesetzes 1999 wollte das Land erneut die Gemüter beruhigen und den Nationalpark voranbringen. 

… und erreicht ihren Höhepunkt

Den Kampf um die Ökosystemforschung musste vor allem Andresens Nachfolger Bernd Scheerer (*1953) bestehen. Er gab 2003 an Helmut Grimm (*1941) ab. Von 2006 an bis 2021 leitete Detlef Hansen (*1955) den Nationalpark. Seit 2008 ist das Nationalparkamt nicht mehr eine eigenständige Landesbehörde, sondern gehört zum neuen „Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz“ (kurz: LKN). Der Nationalpark hat inzwischen viele „Partner“ gefunden. 2005 wurde das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer von der Unesco zum Biosphärenreservat erklärt, 2009 wurde es in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen.

Werner Junge (0222*)

Quellen: Prof. Hans Peter-Ziemek, „Großreservat Halligmeer“ – einer der ersten Versuche zur Gründung eines Nationalparks in der Bundesrepublik Deutschland“, in: Natur und Landschaft, 3/2014, Stuttgart, Verlag Kohlhammer; Werner Junge, „25 Jahre Nationalpark“ in: Nordfriesland, Nr. 172, Dezember 2010, Bredstedt/Bräist, Nordfriisk Instituut; PI der Schutzstation Wattenmeer vom 24.1.2014; Thomas Steensen „Geschichte Nordfrieslands – von 1918 bis in die Gegenwart, Bredstedt/Bräist, 2008, Nordfriisk Instituut, ISBN  978-3-88007-349-4

Bildquelle: Martin Stock / Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN-SH); Flessner/Andresen: Archiv LKN-SH.