Die „Skandalgräfin“ Franziska zu Reventlow
Franziska zu Reventlow wurde am 18. Mai 1871 als Tochter des ersten preußischen Landrats Ludwig Graf zu Reventlow geboren und wuchs im Schloss vor Husum auf. Ihr Taufname war Fanny und sie führte in vielem ein widerständiges Leben, das die herrschenden gesellschaftlichen Regeln und Zwänge ihrer Zeit sprengte. In der Schwabinger Bohème wurde sie berühmt, im Schweizer Locarno ist sie gestorben, doch bekannte sie sich stets zu ihren Husumer Wurzeln. Als 1903 ihr weitgehend autobiografischer Roman über Kindheit und Jugend in Husum „Ellen Olestjerne“ herauskam, schrieb Rainer Maria Rilke: Ihr Leben sei eins „von denen, die erzählt werden müssen“.
Eine Herkunft aus uraltem Adel
Auch ihre Mutter Emilie stammte aus schleswig-holsteinischem „Uradel“, sie war eine geborene Gräfin zu Rantzau. Mit ihr durchlebte Franziska immer neue Konflikte. Sie bewirkten eine die Husumer Zeit überdauernden Protesthaltung gegenüber allem, was sie als einschränkend empfand. In einem Brief schrieb sie, gerade 19 Jahre alt: „Ich will und muss einmal frei werden; es liegt nun einmal tief in meiner Natur, dieses maßlose Streben, Sehnen nach Freiheit. Die kleinste Fessel drückt mich unerträglich, unaushaltbar.“
Flucht nach Schwabing
Aus der von ihr als eng empfundenen Heimat wurde Franziska 1892 zur „Besserung“ nach Angeln geschickt. Ein Jahr später floh sie von dort nach Wandsbek und überwarf sich damit endgültig mit ihren Eltern. In Wandsbek lernte sie den Hamburger Gerichtsassessor Walter Lübke kennen. Er ermöglichte ihr 1893 einen Aufenthalt als Studentin an einer Malschule in München. 1894 heirateten die beiden. Ein Jahr später ging Franziska zu Reventlow nach München. Die Ehe zerbrach, schließlich wurde sie 1897 geschieden. In Schwabing führte sie ein weitgehend selbstbestimmtes Bohème-Leben. Es wurde allerdings von anhaltender Geldnot, Krankheiten und mehreren Fehlgeburten überschattet. Schwabing, so sagte sie, sei eher ein Zustand als eine geografische Bezeichnung. Dort wurde sie zur „Skandalgräfin“ und zu einer umschwärmten Frau.
Ihren Unterhalt verdiente sie mit Übersetzungen, Artikeln – in der Frankfurter Zeitung veröffentlichte sie zum Beispiel Erinnerungen an Theodor Storm –, Witzen für den Simplicissimus, außerdem mit diversen Gelegenheitsarbeiten. Ihre eigentliche künstlerische Ambition sah Franziska zu Reventlow selber in ihrer Malerei. Die fiel allerdings bei den Kunsthistorikern durch, die ihre Bilder nicht bedeutend fanden. Ihre Romane hingegen wurden wegen ihrer komisch-sarkastischen Leichtigkeit gerühmt. Sie galt um 1900 als eine der modernsten Schriftstellerinnen. „Im Vergleich zu ihr schrieben die meisten Männer der Zeit wie sentimental gewordene Gouvernanten“, meint ihre Biografin Kerstin Decker.
Von München in die Schweiz
Im Jahr 1910 zog sie von München nach Ascona am Lago Maggiore. Als ihr Sohn Rolf (*1897–1981†) – den Namen des Vaters verschwieg sie zeitlebens – in den Ersten Weltkrieg ziehen musste, beschloss die besorgte Mutter, ihm zur Flucht über den Bodensee in die Schweiz zu verhelfen. Sie habe keine Begabung zur „Heldenmutter“. Triumphierend schrieb sie: „Ich hatte dem Kaiser meinen Sohn weggenommen.“ Diese Fluchthilfe ging durch die europäischen Zeitungen. Franziska zu Reventlow suchte Freiheit jenseits aller Konventionen. Mit der bürgerlichen Ehe konnte sie nichts anfangen, wenigstens nicht für längere Zeit und hielt Monogamie für einen Irrtum. Ideologien stand sie distanziert und ironisierend gegenüber. Später stilisierten manche sie zu einer Ikone der Frauenemanzipation. Doch war sie keine Kämpferin für Frauenrechte, keine Feministin. Die gleichberechtigte Berufstätigkeit der Frau interessierte sie nicht. Die Frau solle sich nicht einfach in die männerdominierte Gesellschaft einfügen, sondern ihr Eigenes bewahren.
Sehnsuchtsort Husum
Franziska zu Reventlow starb mit 47 Jahren in einer Klinik in Locarno an den Folgen eines Fahrradsturzes. Ihr Grab befindet sich dort auf dem Friedhof Santa Maria in Selva. 2016 erhielt sie im Herzoginnengarten des Schlosses vor Husum ein von Elsbeth Arlt (*1948–2015†) gestaltetes Denkmal aus vier Kalkstein-Blöcken mit der Aufschrift „Alles möchte ich immer“. Nach Husum übrigens kehrte sie nur einmal zurück, fühlte sich mit der Stadt aber zeitlebens verbunden. So schrieb sie 1905 in einem Brief: „Diese Nacht habe ich so intensiv von Husum geträumt, dass ich am liebsten gleich gefahren wäre.“ Sie sehnte sich nach Landschaften „mit Husumzauber“.
Prof. Dr. Thomas Steensen (1221*)
Hinweis: Prof. Dr. Thomas Steensen und Prof. Dr. Arno Bammé haben gemeinsam im Husum Verlag den Roman „Ellen Olestjerne“ von Franziska zu Reventlow neu herausgegeben, ISBN 978-3-89876-721-7.
Literatur: Kersten Decker, Franziska zu Reventlow – eine Biographie, Berlin Verlag , ISBN 978-3-8270-1362-0; Ulla Egbringhoff, Franziska zu Reventlow, Reinbek 2000; Brigitta Kubitschek: Franziska zu Reventlow. Leben und Werk, München und Wien 1998; Kornelia Küchmeister, Dörte Nicolaysen und Ulrike Wolff-Thomsen, „Alles möchte ich immer“ -Franziska zu Reventlow 1871 – 1918, Göttingen 2010; Thomas Steensen, Franziska zu Reventlow. Die rebellische „Skandalgräfin“ aus Husum und ihre Familie. In: Schauplatz Husum. Ein Geschichtsalbum in Lebensbildern 1450–1950. Hrsg. von Matthias Bauer, Husum 2019, S. 85–94.
Bildquellen: Franziska zu Reventlow um 1901, Ölgemälde von Marie von Geyso, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Klages-Archiv; Franziska zu Reventlow 1905 – Foto: Philipp Kester, Quelle: Stadtmuseum München; Denkmal für Franziska zu Reventlow am Schloss vor Husum, in dem sie vor 150 Jahren geboren wurde – Foto: Thomas Steensen.