Die ersten Versuche, auf dem Strand von St.Peter-Ording zu segeln in den 1920er Jahren
Die ersten Versuche, auf dem Strand von St.Peter-Ording zu segeln in den 1920er Jahren

St. Peter-Ording und Strandsegeln sind seit Anfang der 1960er Jahre bundesweit ein Synonym. Die Anfänge des Segelns auf dem Land gehen im Nordseeheil- und Schwefelbad auf die Mitte der 1920er Jahre zurück. Kurarzt Richard Felten (*1882-1968†) fuhr als erster mit einem Holzgerüst mit Leinensegeln über den 14 Kilometer langen Strand. Gebaut hatte das Vehikel der Uhrmachermeiser und Tüftler Otto Wieben. Er konstruierte nach dem Zweiten Weltkrieg auch die ersten Großraumsegler. Seine Söhne Horst und Bruno sowie Vetter Claus-Werner kutschierten damit bis zu 20 Feriengäste über den Strand. Bilder dieser Segelwagen sahen belgische Strandsegler 1958 während der Weltausstellung in Brüssel. Sie luden die Wiebens ein.

Die erste Europameisterschaft

Mit dem Großraumsegler für Feriengäste begann nach dem Zweiten Weltkrieg die noch unorganisierte Strandsegelei wieder
Mit dem Großraumsegler für Feriengäste begann nach dem Zweiten Weltkrieg die noch unorganisierte Strandsegelei wieder

In Belgien – wie auch an der französischen Atlantikküste – wurde bereits seit Anfang des 20. Jahrhundert Strandsegeln als Sport betrieben. Der Kanalflieger Lois Charles Blériot (*1872-1936†) war einer der ersten Strandsegler, die Landsegler nennen sich vielleicht deshalb noch heute „Piloten“.1961 wurde der „Yacht Club St. Peter-Ording“ (YCSPO) gegründet. Belgier, Engländer und Franzosen kamen 1963 zur ersten Europameisterschaft nach St. Peter-Ording. Neben auf Rädern gesetzten Eisseglern gab es jede Art von Konstruktionen.

Mit dem „Goliath“ von Sieg zu Sieg

Beherrschend wurden in der Anfangsphase die auf dem Chassis des dreirädrigen Kleinlasters „Goliath“ (Borgward) aufgebauten deutschen 12-Quadratmeter-Yachten. Seit 1966 werden die Strandsegler entsprechend ihrer Segelfläche in Klassen eingeteilt. Während die in die 15-Quadratmeterklasse aufgestiegenen Goliaths als Klasse I ihre große Zeit hinter sich hatten und seit 1971 nicht mehr in Wettbewerben antraten, entwickelte sich aus dem amerikanischen DN-Eisschlitten (DN steht für Detroit News) mit 6,5 Quadratmeter Segelfläche die Klasse III. Auch wenn es nicht mehr die hölzernen DN-Kisten sind die über den Strand ziehen,war die Klasse III lange die größte europäische Wettbewerbsklasse. 1975 wurde die erste Welt- und Europameisterschaft vor St. Peter-Ording ausgetragen, 1993 die zweite mit über 100 Teilnehmern. Seit Beginn der 1980er Jahre verbreiten sich aus den USA übernommene Kleinsegelwagen als Einheitsklassen. Mit ihnen begann das Strandsegeln auch auf den ostfriesischen Inseln Borkum und Juist. Anders als in St. Peter-Ording ist dort das Strandsegeln vor allem ein Wintersport.

Der erste Landsegler: ein Pharao

Das Ende einer der vielen Experimente der Pionierzeit
Das Ende einer der vielen Experimente der Pionierzeit

Die ältesten Reste eines Landseglers wurden im Grab des ägyptischen Pharao Amenehet III. gefunden, der vor über 4.000 Jahren „in der Wüste mit Achsen und Segeln fuhr“. „Wagen aus Federn“ und Karren, die vom Wind mitgeschoben wurden, kannten auch die Chinesen. Noch 1648 sah der englische Bischof John Wilkens einen solchen Wagen in China und versuchte ihn nachzubauen. Furore machte jedoch der Niederländer Simon Stevin. Um 1600 baute er für den Statthalter der Niederlande einen Segelwagen, der es auf 33.5 Kilometer brachte und als „Wunder von Den Haag“ überall in Europa abgebildet wurde. Noch in der 1830er Jahren wurde in Frankreich versucht, mit segelnden Postwagen den Wind zum Landtransport kommerziell zu nutzen. Ähnliche Versuche schlugen auch in Amerika fehl. 1898 bauten die belgischen Gebrüder Dumont eine erste hölzerne Yacht für „Lustfahrten“. 1909 schließlich startete im belgischen De Panne die erste Strandsegelregatta. Landsegeln war damit endgültig zu einem Sport geworden.

Schneller als der Wind

Simons Stevins Segelwagen am Strand von Den Haag (s'Gravenhage)
Simons Stevins Segelwagen am Strand von Den Haag (s’Gravenhage)

Nur auf dem Eis kann man schneller als auf den Land segeln. Strandsegler erreichen mehr als 120 Stundenkilometer. Sie benötigen mindestens drei Windstärken (Beaufort), um den relativ hohen anfänglichen Rollwiderstand zu überwinden. Auf dem Land erhöht sich im Gegensatz zum Schiff jedoch der Widerstand mit zunehmender Fahrt nicht. So addieren sich Wind und Fahrtwind sehr viel stärker als auf dem Wasser zum „scheinbaren Wind“. Die Folge ist, dass Strandsegler „schneller als der (wahre) Wind“ fahren können. Weil sie das tun, heben sich Wind und Fahrtwind auch auf, wenn ein Strandsegler versucht, sich wie ein Schiff vor dem Wind (mit Rückenwind) hertreiben zu lassen. Die Yacht bleibt nach kurzer Zeit einfach stehen. Deshalb kreuzen Strandsegler vor dem Wind, sie „rollen ab“. Heute haben alle Strandsegler drei Räder und werden über das Vorderrad gesteuert.

Die französische Kutsche mit Segeln. Eine der Ideen des 19. Jahrhunderts, Windkraft auf dem Land kommerziell zu nutzen
Die französische Kutsche mit Segeln. Eine der Ideen des 19. Jahrhunderts, Windkraft auf dem Land kommerziell zu nutzen

-ju- (0502/0721)

Zwei moderne Klasse-III-Yachten in der Wende
Zwei moderne Klasse-III-Yachten in der Wende

Tipp: Wer mehr über das Strandsegeln wissen will, findet Ansprechpartner unter www.ycspo.de

Quelle: Werner Junge, Strandsegeln oder das Segeln auf dem Lande, St.Peter-Ording, Verlag H.Lühr & Dircks, 1982, ISBN 3-921416-21-3

Bildquellen: Archiv YCSPO, Helga Junge, Werner Junge, Grafik: Hanjo Mühe (alle aus dem Buch „Strandsegeln… s.o.)

Durch den "scheinbaren Wind" werden Strandsegler schneller als der ("wahre") Wind
Durch den „scheinbaren Wind“ werden Strandsegler schneller als der („wahre“) Wind