Bis Anfang des 20. Jahrhunderts Dampfer endgültig die Zeit der Frachtsegler beendeten, war die Seekiste das universelle Möbel der Seeleute. Die Kiste barg die gesamte mitzubringende Kleidung eines Seemannes und sein überschaubares Privateigentum. Während die oft prachtvoll geschmückten Kisten der Kapitäne und Nautiker durchaus unterschiedliche Maße aufwiesen, weil die „Achtergäste“ – Schiffer, Offiziere und Steuerleute – im Heckbereich des Schiffes eigene Kammern hatten, entwickelten sich für die Kisten der einfachen Seeleute „vor dem Mast“ ein internationaler Standard.
Universalmöbel der Seeleute
Die Unterkünfte der Mannschaften auf Frachtseglern hießen „Logis“. Sie lagen meist vor dem (vorderen) Mast und boten nur Doppelkojen und Tische. Der Rest ihres Mobiliars bestand aus den Seekisten. Damit zwei Kisten vor einer Doppelkoje Platz fanden, waren sie eine halbe Kojenlänge, also knapp einen Meter lang. Weil sie nicht nur als Aufstieg in die obere Koje dienten, sondern auch einziges Sitzmöbel waren, hatten die Seekisten Stuhlhöhe und Tiefe, also 45 Zentimeter. Damit sie transportabel waren und auch im Logis bewegt werden konnten, hatten die aus massiven Brettern gefügten Kisten Kufen. Richtige Seekisten waren zudem konisch. An den Schmalseiten verjüngten sie sich nach oben. Durch diese Trapezform hatten sie zum einen eine breite und damit stabile Basis, zum anderen ließ sich das überstehende Deckelbrett auch hochklappen, wenn die Kiste an ihren zwei Griffen mit Tauen am Schott (das ist die senkrechte Holzwand) unter der unteren Koje gesichert war. Weil die Logis auf allen Schiffen nach den gleichen Prinzipien eingerichtet waren, ähnelten sich die Seekisten bei allen seefahrenden Nationen ungemein.
Jede Kiste musste abschließbar sein
Alle Seekisten mussten abschließbar sein. Das weniger für die Zeit auf See, denn für den Landtransport und die oft langen Liegezeiten in den Häfen, die zahlreiche und nicht immer ehrliche Besucher an Bord brachten. Vor allem die Technik der Schlösser und der Beschläge hat sich im Laufe der Zeit geändert. Vom hölzernen Schloss auf der „Vasa“ über das geschmiedete barocke Zangenschloss bis hin zu zur Sicherheit klingelnden Doppelriegelschlössern (Teekistenschlösser) im 19. Jahrhundert.
Innere Werte der Seekisten
Wer den Deckel von Seekisten öffnet, findet zu 80 Prozent auf der linken Kistenseite ein kleines Fach, die so genannte „Beilade“. Ist sie links, war der Besitzer Rechtshändler. Er konnte dann den immer mit zwei Zapfen gelagerten Deckel mit der linken Hand anheben, um mit der rechten in seinen Privatsachen (Briefe, Bilder, Uhr, Tabak etc.) zu kramen. Zusätzlich konnte an der Anschlagseite des Deckels hinten noch ein Schmales Brett mit Kante montiert sein. Es hieß in Seekisten wie auch den Aussteuertruhen an Land Hohe Kante. Dort wurde vor allem in den Aussteuertruhen die Mitgift angesammelt. War dort etwas, hatte jemand etwas „auf der hohen Kante“. Die Seekisten von Nautikern, lassen sich an einem der Beilade gegenüberliegenden durchgehenden Fach erkennen, das runter bis zum Boden der Kiste reicht. Das „Nautische Fach“ nahm zum Beispiel den Sextanten auf.
Mehr als ein Koffer
Anders als Koffer dienten Seekisten nicht allein dazu, die persönliche Habe reisefähig zu machen. Es waren mehr als Transport- und Lagerkisten: Sitzbank, Aufstieg in die Koje, Werkbank, Spielfeld für die Freizeit und ein Stück Statussymbol. Qualität und Gestaltung der Kiste waren für das Renommee des Seemannes wichtig. Griffe wurden so aufwendig kunstvoll geflochten, Monogramme personalisierten die Kiste, vor allem im Innern wurden zum Teil kunstvolle Bilder und Schnitzereien während langer Freiwachen oder durch unbekannte Künstler in den Hafenstädten geschaffen.
Wollmütze, Seestiefel, Ölzeug
Als 1961 die 1638 in den Stockholmer Schären gesunkene „Vasa“ gehoben wurde, fanden die Meeresarchäologen auch die (übrigens nicht konischen) Seekisten und konnten die Reste der Inhalte zum Teil noch bestimmen. Unspektakulärer aber genauer ist der Inhalt der Seekisten durch Ausrüstungslisten und – vor allem – durch Inventare bekannt, die den Angehörigen nach dem Tod eines Seemannes über dessen Habe säuberlich gelistet Auskunft gaben. Der Inhalt der Seekiste galt uneingeschränkt als das persönliche Eigentum des Seemannes. Das fand schon Eingang in das Jyske Lov von 1241. Im Jütischen Recht findet sich die älteste bekannte Bestimmung über den Umgang mit Schiff und Ladung bei einer Strandung. Zum ersten Mal taucht der Begriff der Seemannskiste auf. Das Gesetz: Überlebt der Seemann, bleiben „Kisten und Kleider“ sein Eigentum.
Ein Typ und viele Varianten
Das wirklich erstaunliche der Seekisten sind ihre fast genormt erscheinenden Grundmaße und Konstruktionsprinzip. Die Form folgt klar der Funktion. Die Vielfalt ergibt sich durch die zum Bau benutzten Hölzer wie gebräuchliche europäische Nutzhölzer wie Fichte und Eiche, Pitchpine für Kisten aus Amerika und auch in Europa genutzt das breite Spektrum tropischer Hölzer wie Mahagoni oder das besonders ungezieferresistente Kampfer. Weiteres Merkmal sind die Verbindungen der Bretter. Stumpf mit Holznägeln, teuer mit Eisen- oder Bronzenägeln und dann fast durchgängig durch Zinkenverbindungen wie vor allem die als besonders stabil geltenden Schwalbenschwänze. Unendlich in Material und Formen sind die Beschläge.
Die Seekisten werden ausgemustert
Das Ende der Seekisten kam mit den Dampfschiffen. Die neuen stählernen Frachter waren größer als die bis dahin dominierenden Küstensegler. Anders als auf Ewern, Tjalks und Schonern aber auch auf den großen Barken, gab es nun Platz für die Mannschaft. Kammern ersetzten das Logis vor dem (vorderen) Mast. Sie waren möbliert, es gab nun neben den Kojen auch Schapps, Spinte, Bänke und Stühle. Die Seekiste wurde damit zum sperrigen Gut, sie behinderte mehr als das sie nutzte. Dies auch, weil die massiven Holzkisten mit einem Eigengewicht von 20 bis über 30 Kilogramm plus noch mal demselben Gewicht des Inhalts ohne Hilfe kaum von einem Mann zu bewegen sind. Seesack, Koffer und Karton wurden nun von den Seeleuten zum Transport ihrer Habe benutzt. Die oft über Generationen genutzten Seekisten hatten ausgedient. Sie wurden als maritime Erinnerungstücke in Dielen gestellt, als Futter- oder Mehlkisten genutzt oder voll gestopft auf Dachböden entsorgt. Obwohl Seekisten eventuell schon bei den Wikingern und wahrscheinlich schon auf den Koggen der Hanse Universalmöbel der Seeleute waren und es auf Segelschiffen bis nach dem ersten Weltkrieg blieben, sind sie weitgehend unerforscht. Sie stehen oft nur als Beiwerk in Museen oder dienen als Podeste für Schiffsmodelle.
Werner Junge (TdM 1211/0721)
Quelle: Peter Barrot: „Seekisten – Vielzweckmöbel der Seeleute“, 2011, Bremen, Verlag H.M.Hauschild GmbH
Bildquellen: Die Bilder sind dem Buch von Peter Barrot entnommen (s.o.) weitere Hinweise: Vignette Federzeichnung G.T. Schulz (nachkoloriert); Grüne Seekiste – Museumsberg Flensburg; Seekisten vor Kojen – Grafik Peter Barrot (nachkoloriert); Hooger Seekiste – Museumsberg Flensburg; Gepäckraum – Fotoarchiv Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven.