Ludwig Nissen (*2.12.1855-26.10.1924†) verkörpert dem amerikanischen Traum vieler Schleswig-Holsteiner im ausgehenden 19. Jahrhundert: Er war einer der wenigen, die es in der „neuen Welt“ „from rags to riches“ – von Lumpen zum Reichtum schafften. Seiner Heimatstadt Husum vermachte der kinderlos gebliebene Nissen den größten Teil seines nicht unerheblichen Vermögens. Mit Mitteln dieser Stiftung wurde von 1934 bis 1937 das „Ludwig-Nissen-Haus“ gebaut.
Vom Tellerwäscher zu Millionär
Geboren wurde Ludwig Nissen als sechstes von zehn Kindern des Reepschlägers Hans Friedrich Nissen und seiner Frau Lucie Catharine Dawartz. Er besuchte die Volksschule und arbeitete als Schreiber im Amtsgericht im Schloss vor Husum in dem zu dieser Zeit Theodor Storm Amtsrichter war. 1872 folgte Ludwig Nissen seinem älteren Bruder Fritz und wanderte aus. Am 11. September 1872 erreichte er New York. Neun Jahre schlug er sich als Tellerwäscher, Stiefelputzer, Schlachter, Gastwirt und Kassierer durch. Seine Geschäfte brachen zusammen, Partner betrogen ihn. Die Wende kam erst 1881. Zusammen mit dem aus Hamburg stammenden Diamantensetzer Fred Schilling eröffnete er eine Juwelenhandlung. Bald schon hieß die „Nissen & Co“ und siedelte in die „Fifth Avenue“ über.
Ein Deutschamerikaner
Der erfolgreiche Geschäftsmann stieg gesellschaftlich vor allem durch seine Ehrenämter auf. Sein Wort galt etwas, er kannte die republikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt (*1858/1901-1909Präsident/1919†)), William Howard Taft (*1857/1909-1913Präsident/1930†) und Calvin Collidge (*1872/1921–1923Präsident/1933†) persönlich. Er setzte sich auch für New York ein, engagierte sich etwa für die U-Bahn nach Brooklyn. In New York galt er als „echter Patriot“. Das hinderte ihn – wie viele andere deutschstämmige Amerikaner – nicht daran, beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges Partei für das deutsche Kaiserreich zu ergreifen. Öffentlich geißelte er England als den eigentlichen Kriegstreiber. Er warb für den Zusammenhalt der drei angelsächsischen Rassen – dazu zählte er auch Deutschland. Damit griff er die beiderseits des Atlantiks in dieser Zeit verbreitete Vorstellung von einer überlegenen nordischen Rasse auf. Er setzte sich für Deutschland ein, überraschte jedoch mit seinem Bekenntnis, er selber sei Däne, habe die Provinz verlassen, als die Preußen sie annektierten, weil er nicht Deutscher werden wollte.
Späte Heimkehr
1915 äußerte Nissen in seinem ersten Testament die Absicht, in seiner Heimatstadt ein umfangreiches kulturelles Erbe zu schaffen. Aber erst 1920 kam der inzwischen 65-jährige für eine Stippvisite nach Husum. Am 22. Juli 1921 machte er öffentlich, was er bis dahin nur mit dem Landrat besprochen hatte: er wollte der Stadt ein Volkshaus hinterlassen, gleichzeitig Museum, Bibliothek und Kunstgalerie. Am 26. Oktober 1924 starb Nissen. Er hinterließ der Stadt sein Vermögen von 2,5 Millionen Mark. Dazu kam seine umfängliche Sammlung amerikanischer Kunst. Dezember 1930 verstarb auch Nissens Frau Kathie. Sie vermachte der Stadt noch einmal 170.000 Dollar. Obwohl mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein Teil der Gelder von Amerika blockiert wurde, reichte das Vermögen, um von 1934 bis 1937 das „Ludwig-Nissen-Haus“ in Husum zu errichten.
… und offene Fragen
Die Gründe für Nissens spätes Engagement für seine Geburtsstadt liegen weitgehend im Dunkel. Sie sind allein aus der Kinderlosigkeit seiner Ehe nicht zu erklären. Ludwig Nissen war bereits vor dem Ersten Weltkrieg verschiedentlich in Europa. Doch er hatte nie seine Vaterstadt besucht. Warum er nun 1920 dorthin reiste und den Landrat über seinen Plan vertraulich informierte, ist unklar. Doch schickte er gleich nach seiner Rückkehr, Hilfsgüter nach Husum, um die nun erlebte Not in seiner alten Heimat zu mildern. Als er ein Jahr später wieder zurückkehrte und seine Projekte bekanntmachte, verkündete er – laut „Husumer Nachrichten“ vom 23. Juli 1921 – seine Hoffnung, „daß Deutschland sich in absehbarer Zeit … erholen und seinen alten Platz [ in der Welt ] einnehmen werde“. Angesichts der verheerenden wirtschaftlichen Lage in Deutschland und der aus der Sicht des strammen amerikanischen Republikaners auch äußerst unsicheren politischen Situation, ist anzunehmen (Nicolaisen), dass es Nissen darum ging, die Situation zu stabilisieren. Immerhin hatten die Kommunisten bei den Reichtagswahlen in Husum sechs Prozent erreicht, SPD und Deutsche Volkspartei – beides aus Sicht Nissens suspekte linke Gruppen – lagen gleichauf mit den „bürgerlichen“ Parteien. Obwohl nicht durch Quellen belegt, ist deshalb naheliegend, dass es dem Amerikaner Nissen darum ging, die „rote Gefahr“ abzuwehren. Diese Angst war in den USA der 1920er Jahre stark verbreitet und ein wesentlicher Impuls für Hilfe und Investitionen in der Weimarer Republik.
Das Erbe Ludwig Nissens
Noch zu seinen Lebzeiten hatte es einen Architektenwettbewerb für das „Volkshaus“ mit Museum, Theater und Bibliothek gegeben. 118 Architekten reichten ihre Pläne ein, fünf wurden prämiert, gebaut schließlich der überarbeitete Entwurf des aus Eiderstedt stammenden Flensburger Architekten Georg Rieve (*1888-1966†). Nach drei Jahren war der Museumsbau 1937 vollendet. Inzwischen hatten die Amerikaner das Vermögen Nissens eingefroren. Erst 1986 konnte deshalb der von Anfang an geplante Ostflügel gebaut werden. Ende 2005 wurde er wieder an die Stadt verkauft. In ihn soll die Stadtbibliothek einziehen. Das Geld braucht die Nissenstiftung, um das in die Jahre gekommene Museum von Grund auf zu erneuern. Am 1. Dezember 2005 wurde es geschlossen und für 2,3 Millionen Euro umgebaut. Ende März 2007 wurde es wieder eröffnet. Es heisst seitdem „Nordfriesland Museum“. Die neue Ausstellung bietet vor allem die Geschichte der Westküste.
Werner Junge (1205/0721)
Quellen: Ludwig-Nisen-Stiftung, Husum; Vortrag von Professor Dr. Peter Nicolaisen aus Anlass des 150.Geburtstages von Ludwig Nissen am 2.Dezember 2005; Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt und Ortwin Pelc (Hrsg.), Schleswig-Holstein Lexikon, Neumünster, 2000, Wachholtz Verlag, ISBN 3-529-02441-4
Bildquellen: alle Ludwig-Nissen-Stiftung, Husum