Jugendarbeit unter britischer Regie
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs gehörte Schleswig-Holstein zur britischen Besatzungszone. Die Briten richteten ihr besonderes Augenmerk auf die deutsche Jugend. Heranwachsende und junge Erwachsene sollten mit zivilgesellschaftlichen und demokratischen Idealen vertraut werden. Gesucht wurden Gebäude in ländlicher Umgebung, die sich für diese erzieherischen Zwecke eigneten. Ein Anwesen in der Gemeinde Barsbüttel (Kreis Stormarn) bot dafür ideale Bedingungen. 1947 war das Gründungsjahr des „Jugendhofs Barsbüttel“. Bis 1958 gab es dort Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene. Heranwachsende lernten, sich eine eigene Meinung zu bilden und Andersdenkende zu respektieren. Es wurde gemeinsam gesungen, gelesen und gespielt. Dazu kamen Gäste, die Vorträge hielten. Nicht zuletzt galt es, deutsche Jugendgruppenleiter auszubilden. Politisch-demokratische Bildung, Jugendfürsorge und Jugendpflege gingen in Barsbüttel Hand in Hand.
Anfänge des Jugendhofs Barsbüttel 1947/48
Das Anwesen in Barsbüttel hatte der Sohn eines Hamburger Industriellen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut. In der NS-Zeit war dort eine Gauleiterschule untergebracht, 1945 diente es kurzzeitig als Kinderheim und wurde dann ab 1947 mit Unterstützung der Landesjugendämter Hamburgs, Schleswig-Holsteins und Niedersachsens zum „Jugendhof“. Als der am 18. Mai 1947 feierlich eröffnet wurde, hieß es programmatisch, die Jugend suche „neue Lebenswerte und Lebensformen und ehrliche Jugendgemeinschaft.“ Die Ausbildung von geeigneten Jugendleitern trage maßgeblich mit dazu bei, zivilgesellschaftliche Wertorientierungen in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft fest zu verankern.
Lernen für eine zivile Gesellschaft
Die politisch-ideologischen Haltungen deutscher Jugendlicher waren für die britischen Erzieher manchmal nur schwer einzuschätzen. Es galt, alles Militärische zu vermeiden, in Jugendgruppen durften deshalb anfangs grundsätzlich keine Uniformen getragen und keine „Tüchtigkeitsabzeichen“ verteilt werden. Allerdings trugen auch Pfadfinder eine einheitliche Kluft, waren streng hierarchisch organisiert und standen in einer – wenngleich britisch-kolonialen – militärischen Tradition. Für die Briten stand fest, dass die Gründung deutscher Pfadfindergruppen nur in enger Absprache mit dem westlichen Ausland erfolgen konnte. Betont wurde Folgendes: „Die möglichen Führer müssen vorbereitet werden, um Unterricht über die Ideale und Praxis der Pfadfinder zu erhalten. Dieser Unterricht müsste in Zusammenarbeit mit der Internationalen Pfadfinderbewegung organisiert werden.“ In diesem Zusammenhang kam einem „Scout-Congress“ in Barsbüttel im Mai 1948 eine wichtige Rolle zu. Vertreter der Britischen Militärregierung und des internationalen Scout-Verbandes beschlossen bei dieser Zusammenkunft in Absprache mit deutschen Teilnehmern, Pfadfindergruppierungen wieder zuzulassen. Sie gaben zu verstehen, dass sie die Entwicklung kontrollieren bzw. unbedingt kritisch begleiten würden. Im Mai 1948 wurde in Barsbüttel „unter Aufsicht der britischen Militärregierung und des Internationalen Pfadfinderbüros“ der Bund freier Pfadfinder Deutschlands zugelassen, der im Dezember desselben Jahres der Zusammenschluss der nichtkonfessionellen Pfadbünde der drei Westzonen zum Bund Deutscher Pfadfinder folgte.
Akzente und Akteure
Außer Barsbüttel entstanden nach 1945 einige weitere ähnliche Einrichtungen mit anderen vergleichbaren Profilen in der britischen Besatzungszone. Bilanzierend hieß es 1958, „das Haus Barsbüttel“ habe mehr als eine Schulungs-, sondern ausdrücklich eine Begegnungsstätte sein wollen. Es sei auch um „emotionale Erlebnisse“ gegangen, „die durch die Geselligkeit, durch Musik und Kunst“ entstünden. Helmut Schelsky (*1912-1984†), der im Zusammenhang mit seinen jugendsoziologischen Studien in Kontakt mit dem Jugendhof Barsbüttel gekommen war, hob die „kultivierte“ gastliche Atmosphäre hervor, die sich als fruchtbar erwiesen habe. Und Curt Bondy (*1894-1972†), Professur für Psychologie und Sozialpädagogik an der Universität Hamburg sprach von einer „Arbeits- und Lebensform“, die „keinesfalls anderswohin übertragen werden“ könne. Die besondere Atmosphäre verdankte Barsbüttel nicht zuletzt dem Musikpädagogen Fritz Jöde (*1887-1970†), einem führenden Protagonisten der Jugendmusikbewegung. Mit nachhaltiger Wirkung setzte er sich dafür ein, Laien für das gemeinsame Musizieren zu begeistern.
Der Jugendhof wird geschlossen
1958 schloss der Jugendhof Barsbüttel seine Pforten. Die 1956/57 anstehende notwendige Grundrenovierung erwies sich für die Träger, die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie die Stadtstaaten Hamburg und Bremen als nicht finanzierbar. Außerdem erschien eine Neuorientierung in Arbeitsweise und Inhalten angebracht. Der einstige Jugendhof stand seither mehrfach zum Verkauf. Heute ist das Anwesen in Privatbesitz.
Prof. Barbara Stambolis (0623*)
Quellen: „Archiv der Jugendmusikbewegung“, Bestand A 228 im Archiv der deutschen Jugendbewegung; siehe auch: https://www.adjb-jugendmusikbewegung.de/fritz-joede; Fotos und schriftliches Material zu Barsbüttel ebd. A 204 sowie Staatsarchiv Hamburg: 135-1 VI_1598 Jugendhof Barsbüttel, (1950-1958), 622-1/235_69 Album Jugendhof Barsbüttel anlässlich der Eröffnungsfeier am 18.05.1947, 1947.05.18, 731-8_A 862 Jugendhof Barsbüttel (Zeitungsausschnittsammlung).
Literatur: Barbara Stambolis: Jugendhöfe in der Britischen Besatzungszone: zivilgesellschaftlich-demokratische Orte des Lernens und der Begegnung, in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung, erscheint im Oktober 2023; Herbert Giffei, Gertrud Seydelmann, Rudolf Sieverts (Hg.): Der Jugendhof Barsbüttel 1947-1958, Hamburg 1959; Carsten Walczok: Der Jugendhof in Barsbüttel – Ein Haus mit wechselvoller Geschichte, in: Jahrbuch für den Kreis Stormarn 20, 2003, S. 27-50, bes. S. 37-43.
Fotos: Archiv der deutschen Jugendbewegung, A 204, A 228