Seit 2015 vergibt die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte (GSHG) einen Nachwuchspreis. Das Preisgeld von inzwischen 2.000 € sponsert die Brunswiker Stiftung. 2023 gibt es zwei Preisträger und auch neu ist, das der Preis an eine Schulklasse geht. Beide Preisträger ehrt Frank Lubowitz mit seiner Laudatio. Da er beim 4. „Tag der Schleswig-Holsteinischen Geschichte“ am 2. September im Schloss Reinbek nicht dabei sein konnte, übergab Dr. Melanie Greinert als Schriftführerin die Preise und übernahm die Laudatio.
Wenn sich die Jury für den Nachwuchspreis und der Vorstand der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 2023 dafür entschieden haben, den Nachwuchspreis zu teilen und zwei Preisträger zu ehren, liegt es nicht daran, dass man sich nicht entscheiden konnte, wem der Preis zufallen sollte. Vielmehr hat ein Blick in die Ausschreibung des Preises Jury und Vorstand bewogen, zwei sehr unterschiedliche Arbeiten auszuzeichnen. Ausdrücklich werden dort Arbeiten von Schülerinnen und Schülern genannt, die es allerdings in der Konkurrenz mit Bachelor- und Masterarbeiten zumeist schwer haben.
Da in diesem Jahr eine Schülerarbeit eingereicht wurde, die als ausgesprochen preiswürdig betrachtet wird, zugleich aber auch eine Masterarbeit gegenüber den anderen akademischen Abschlussarbeiten herausragte, ist die Teilung des Preises zwischen beiden Arbeiten von Jury und Vorstand beschlossen worden. Das qualifiziert keine der Arbeiten ab, beide hätten den vollen Nachwuchspreis verdient, da aber nur eine Preissumme zur Verfügung steht, wird diese zu gleichen Teilen beiden Bewerbern zuerkannt.
Der Nachwuchspreis der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte geht zu einer Hälfte an ein Schülerprojekt des Ludwig-Meyn-Gymnasiums unter der Tutorenschaft von Sönke Zankel.
Gemeinsam mit den Schülerinnen Eva Lotte Lindner und Julia Klett ist Sönke Zankel Herausgeber einer im Juni 2023 im Druck erschienenen Festschrift von Schülerinnen und Schülern des Geschichtsprofils 11. Klasse (Seminarfach) zum 100-jährigen Schuljubiläum des Ludwig-Meyn-Gymnasiums in Uetersen.
In seiner Einführung weist der Geschichtslehrer Sönke Zankel darauf hin, dass vor der ordnenden und analysierenden Arbeit am Text eine für die Schüler noch unbekannte Recherchearbeit in vielen Archiven – vom Bundesarchiv über das Landesarchiv bis zum Stadtarchiv und Schularchiv – sowie die Suche nach Zeitzeugen, die zu eine Befragung bereit waren, notwendig war.
Den Lerneffekt der Schüler bei dieser historischen Arbeit beschreibt Zankel so: „Sie müssen sich gut organisieren, müssen strukturiert agieren können, um mit knappen Ressourcen, vor allem der Zeit, effizient umgehen zu können. … zugleich bereitet dies auf die (digitale) Zukunft vor, auf eine Welt voller (falscher) Informationen, die reflektiert gedeutet werden müssen …“.
Es finden sich zunächst Beiträge zum Namensgeber, zum Lehrerseminar als Vorgänger und zur Gründung der Ludwig-Meyn-Schule. Mit Beiträgen über zwei Schulleiter und einen stellvertretenden Schulleiter wird die NS-Zeit thematisiert, es folgen Aufsätze zur Flüchtlingsunterbringung im Schulgebäude und zur Entnazifizierung.
Schüler zu sein am Ludwig-Meyn-Gymnasium in den vergangenen 100 Jahren, beschreibt einen anderen Schwerpunkt der Festschrift: Der Wandel bei den Unterrichtsformen zeigt sich beispielsweise bei der Frage der körperlichen Züchtigung, in den Formen des Schummelns, bei Lehrerzitaten im Wandel der Zeit und der Akzeptanz von LGBTQIA+. Diese Themen versammeln sich im Kapitel „Stetiger Wandel“. Im einem abschließenden Kapitel findet sich eine Reihe von Beiträgen unter dem Oberbegriff „Schule und Gesellschaft“, die sich mit der ehemaligen Partnerschule in Wittstock, der Klimabewegung und den Abizeitungen beschäftigen.
Man erkennt die ordnende Hand des Tutors, der aber zugleich klug genug war, den Sprachstil und die Wortwahl der Schülerinnen und Schüler nicht allzu sehr zu glätten. Das gibt dem Buch und jedem einzelnen Beitrag seine Authentizität.
Die andere Hälfte des Nachwuchspreises der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte geht an Lennart Stolina für seine im Oktober 2022 zur Masterprüfung vorgelegte Arbeit „Bruderkampf in der Nordmark? Zum gegenseitigen Verhältnis von Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und Roten Frontkämpferbund im Schleswig-Holstein der Weimarer Republik“.
Die Arbeit ist ein Beitrag zur Geschichte der politischen Radikalisierung im Verlauf der 1920er Jahre, in denen die NSDAP die Provinz Schleswig-Holstein zu einer frühen braunen Hochburg machte.
Der Autor fragt nach dem Verhältnis der beiden Kampforganisationen der Parteien der Arbeiterklasse, die den rechten Organisationen, vor allem der SA, politisch-ideologisch gegenüberstanden. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (RB) war eine überwiegend sozialdemokratisch-gewerkschaftlich geprägte Gründung. Der Rote Frontkämpfer Bund (RFB) war die Kampftruppe der KPD. In ihren Agitationsformen und dem militärischen Auftreten mit Fackelumzügen und Musikkapellen waren sich die Organisationen durchaus ähnlich. Die Arbeit untersucht das Fehlen einer gemeinsamen linken Opposition in Schleswig-Holstein anhand des gegenseitigen Verhältnisses beider Organisationen.
Der Autor beschreibt den auf Schleswig-Holstein bezogene Forschungsstand als ungenügend, kann aber auf eine verhältnismäßig gute Quellenlage im Landesarchiv Schleswig-Holstein und anderen Archiven verweisen. Er erläutert dabei die unterschiedliche Form der Überlieferung für Reichsbanner und Roten Frontkämpferbund, die er quellenkritisch bewertet.
Die Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Bund der Kriegsteilnehmer und Demokraten erfolgte im Februar 1924 als „Zusammenschluss aller wehrhaften Demokraten“. Der Gau Schleswig-Holstein wurde im Mai 1924 in Kiel gegründet. Es folgten Gründungen von Ortsgruppen, so dass Lennart Stolina bei unsicherer Quellenlage von weit über 15.000 Mitgliedern in Schleswig-Holstein spricht. Die Gründung des Rote Frontkämpfer Bundes erfolgte nach einem gewaltsamen Polizeieinsatz gegen eine kommunistische Demonstration in Halle am 31. Juli 1924. In der Organisationsstruktur ähnlich, konnte der Rote Frontkämpfer Bund allerdings in Schleswig-Holstein keine vergleichbare Massenbasis wie das Reichsbanner erreichen. Der Schwerpunkt lag in der Gauhauptstadt des Gaues „Waterkant“ in Hamburg, von wo aus man in der Provinz auftrat. Beide Organisationen hatten Schwierigkeiten, sich im ländlichen Schleswig-Holstein zu etablieren.
Lennart Stolina untersucht an zwei wesentlichen Konflikten der Weimarer Republik die Frage nach möglicher Kooperation beider Organisationen und stellt deren Scheitern dar. Deutlich weist der Autor auf die Unterschiede zwischen Reichsbanner und Rote Frontkämpfer Bund am Ende des Untersuchungszeitraums hin, als sich die Spirale der politischen Gewalt immer schneller zu drehen begann. Das Reichsbanner erkannte als republikanische Organisation das Gewaltmonopol des Staates uneingeschränkt an, während der Rote Frontkämpfer Bund insgeheim den Grundstein für eine proletarische Schutztruppe legte. Nicht nur in der Rhetorik standen sich beide Organisationen immer feindseliger gegenüber. Ende September 1928 kam es in Geesthacht auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen beiden Organisationen.
Lennart Stolina schließt mit seiner Arbeit eine Forschungslücke und erschließt neue Erkenntnisse über beide Organisationen – insbesondere den Rote Frontkämpfer Bund –, die dem Aufstieg der NSDAP hätten entgegenstehen können, wenn der Rote Frontkämpfer Bund ernsthaft und nicht nur oberflächlich-taktisch an Zusammenarbeit mit demokratischen Kräften interessiert gewesen wäre. Das verhinderte allerdings dessen politisch-ideologische Ausrichtung, die die Unterwanderung und Zersetzung des Reichsbanners zum Ziel hatte.
Beiden Preisträgern, dem Geschichtsprofil 11. Klasse der Ludwig-Meyn-Schule in Uetersen mit ihrem Geschichtslehrer Sönke Zankel und Lennart Stolina, gratuliert die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte herzlich zum Nachwuchspreis!
Frank Lubowitz (030923*)