Das Ende der “Deutschen Schrift”
Am 3. Januar 1941 machte Martin Bormann als Stellvertreter Adolf Hitlers in einem geheimen Rundschreiben bekannt, der Führer habe entschieden, die “Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen”. Grund war, dass die “sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern” bestehen sollte und deshalb nicht mehr als deutsche Schrift angesehen werden könne. Zehn Tage später erließ die Reichskanzlei einen Runderlaß: der Führer habe entschieden, “daß sämtliche Zeitungen und Zeitschriften allmählich auf die sogenannte Antiqua-Schrift umgestellt werden”, und dass “die Antiqua-Schrift … sobald dies schulbuchmäßig möglich ist, allein in den Volksschulen gelehrt wird” sowie “daß Urkunden des Staates, Anschläge und Veröffentlichungen von Behörden, Strassenschilder, Bahnhofsnamen u. dgl. künftig nur in Normalschrift geschrieben und gedruckt werden.” Damit beendeten die Nationalsozialisten mit einem Federstrich den über 60 Jahre erbittert geführten Schriftenstreit. Auch für die schleswig-holsteinischen Schulen wurde am 1. September 1941 angeordnet, für die Erstklässler auf “Normalschrift” umzustellen. Dies jedoch erst, wenn entsprechende Unterrichtsmaterialien vorhanden seien. Als erste Zeitung in Schleswig-Holstein befolgte am 10. November 1941 die “Schleswig-Holsteinische Tageszeitung – Gauamtliches Organ der NSDAP”, den Führerbefehl und erschien in Antiqua-Schrift.
Die europäische Schriftspaltung
Am Ende des 16. Jahrhunderts war die europäische Schriftspaltung abgeschlossen: Während in den romanischen Ländern – Frankreich, Italien und Spanien – mit lateinischen Buchstaben geschrieben und für den Druck Antiquaschriften verwendet wurden, entschied man sich im deutschsprachigen Raum und in Skandinavien für Currentschrift und Frakturen. Auch in England und den Niederlanden wurden noch gebrochene Schriften benutzt. Doch schon bald gingen beide Länder zum südeuropäischen Schriftgebrauch über. Als die Landessprachen im 17. Jahrhundert anfingen, das Lateinische als universelle Sprache für wissenschaftliche Texte zu verdrängen, stellte sich die Frage, ob man nicht auf die Fraktur verzichten sollte. Neben dem Problem, wissenschaftliche Texte übersetzen zu müssen, wurde die andere Schrift als zusätzliches Hindernis für den internationalen Austausch angesehen. Die Skandinavier beantworteten die Frage mit ja und stellten bis Ende des 19. Jahrhunderts auf Antiqua und lateinische Schrift um. Anders in Deutschland. Hier entbrannte ein heftiger Streit. Nationalgesinnte Politiker erhoben Current und Fraktur zum nationalen Symbol. Das zu erhalten, war wichtiger als internationale Kontakte zu erleichtern. Sie behielten im jahrzehntelangen erbittert geführten Schriftstreit die Oberhand und schufen in der Mitte Europas so eine Schriftinsel.
Die Schriftinsel bleibt
1911 schließlich debattierte der Reichstag darüber, Fraktur als Amts- und Schulschrift abzuschaffen. Das wurde vor allem von sozialdemokratischen Abgeordneten gefordert. Die griff der konservative Abgeordnete Henning an: “Wenn es zweckmäßig wäre, die lateinische Schrift überall, als Schreibschrift und als Druckschrift, zu verwenden, dann frage ich Sie: warum erscheinen denn unsere sämtlichen deutschen Tageszeitungen in deutscher Druckschrift ? … Wenn es also ein Zweckmäßigkeitsbedürfnis wäre, dann würden doch namhafte Zeitungen, die vielleicht dieser Richtung [der sozialdemokratischen, M. P.] näher stehen, schon angefangen haben, lateinischen Druck zu verwenden.” Denn obwohl ein großer Teil der Befürworter der Antiqua aus den Reihen der SPD und der Arbeiterbewegung kam, machte sich dies – anders als etwa in Dänemark – in ihren zahlreichen Publikationen kaum bemerkbar. Bis 1941 nutzten nur sehr wenige deutsche Zeitungen Antiqua im redaktionellen Teil. Auch die sozialdemokratische “Schleswig-Holsteinische Volkszeitung” druckte bis zu ihrem Verbot 1933 in Fraktur.
Die Kieler Zeitung
Beendet wurde der Schriftstreit erst 40 Jahre danach durch einen Federstrich der Nationalsozialisten. Nachdem deren Gauzeitung in der „Nordmark“ 1941 den Anfang gemacht hatte, geschah erst einmal fast ein ganzes Jahr lang nichts. Die nächste schleswig-holsteinische Zeitung, die in Antiqua erscheinen sollte, war eine neue: Am 1. Oktober 1942 wurde die “Kieler Zeitung” gegründet. Aus ihrer Asche sollte nach Kriegsende eine der wenigen von den Besatzungsmächten zwischen 1946 und 1949 zugelassenen “Lizenz-Zeitungen” entstehen – die “Kieler Nachrichten”. Die “Kieler Zeitung” entstand vor allem vor dem Hintergrund des Mangels an Papier “kriegsbedingt” dadurch, dass die “Nordische Rundschau” und die “Kieler Neuesten Nachrichten” unter einem neuen Titel vereinigt wurden. Beide waren bis zur ihren letzten Ausgaben in Fraktur gesetzt.
Zeitungen in Südschleswig
Wieder ein Jahr später, am 1. November 1943, stellten die “Flensburger Nachrichten” auf Antiqua um. Im Gegensatz zu vielen anderen Zeitungen, die ihr Schrift änderten, ohne das zu kommentieren oder zu erläutern, wurde hier der Schritt im Vorwege ausführlich gerechtfertigt:
“Die heutige Ausgabe der ‘Flensburger Nachrichten’ wird, was das Schriftbild angeht, die letzte ihrer Art sein. Vom kommenden Montag ab ändern wir die Schrift, und zwar gehen wir von der ‘Fraktur’ – in der Sie bisher die Zeitung lasen – zur Antiqua über, von der wir Ihnen mit diesen Zeilen eine kleine ‘Kostprobe’ anbieten. Wir sind überzeugt, daß unsere Leser uns recht geben werden: das Gesamtbild unserer Zeitung wird durch die Schriftänderung in seiner Klarheit nichts einbüßen, sondern an Ausdruckskraft noch gewinnen. Die Umstellung wird von uns nicht vorgenommen, weil wir um der Änderung willen ändern wollen, sondern wir folgen damit einer Entwicklung, zu der sich die große deutsche Presse in steigendem Maße bekennt. Die Antiqua-Schrift ist die Schrift der Zukunft, jene Schrift, die auch das Ausland liest und die also vielen Ausländern den Weg zum deutschen Wort und zur deutschen Meinung erst erschließt. Dies ist zwar nicht der einzige Grund, der die deutsche Presse zur Umstellung in ihrem Schriftsystem veranlaßt, aber doch ein sehr wesentlicher, und gerade auch für unsere Zeitung, die im Grenzgebiet eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat.“
Die benachbarte “Südtondernsche Zeitung” folgte am 6. Dezember 1943 und ersetzte die Fraktur durch Antiqua. Wie die „Flensburger Nachrichten“ gehörte auch sie zu den Zeitungen, “die im Grenzgebiet eine besondere Aufgabe zu erfüllen” hatten. Damit war gemeint, dass sie auch für dänischsprachige Leser gut lesbar sein sollte. Umgestellt wurde in der Regel an einem Wochenende. Große technische oder finanzielle Probleme standen dabei nicht im Wege. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts war der Handsatz weitgehend durch Zeilengießmaschinen ersetzt worden. Am weitesten verbreitet waren die „Linotype“ Setzmaschinen. Sie konnten mit wenigen Handgriffen durch den Austausch der Matritzenmagazine auf andere Schrifttypen umgerüstet werden. Magazine mit Antiquaschriften waren in vielen Setzereien schon vorhanden, weil die lateinische Druckschrift häufig schon seit längerem für den Satz von Anzeigen genutzt wurde. Umgestellt wurde in erster Linie der sogenannte Fließsatz, also der fortlaufende Zeilensatz für die Artikel. Die Fraktur blieb manchmal noch für die Überschriften erhalten. Anders als beim Zeilenguss, bei dem mit einem Matritzenmagazin beliebig viel Satz hergestellt werden kann, wurden die Überschriften lange Zeit noch von Hand aus Einzellettern im Winkelhaken aus dem Setzkasten gesetzt. Da jede Letter und jedes Zeichen bei diesem Verfahren nur einmal pro Druckvorgang benutzt werden kann, sind für die verschiedenen Schriftgrade (Schriftgrößten) umfangreiche Bestände erforderlich. Während bei den Überschriften der Übergang zur Antiqua im Laufe der Zeit vollzogen wurde, blieben die Zeitungsköpfe meist unverändert. So symbolisieren bis heute viele deutsche Tageszeitungen ihre konservative Grundhaltung dadurch, daß ihr Name unverändert in Fraktur gedruckt wird.
Die Holsteiner Nachrichten
Zahlreiche regionale Tageszeitungen mussten während des Krieges ihr Erscheinen – wie es hieß – “kriegsbedingt” einstellen. Andere Blätter waren gezwungen, zusammen mit Zeitungen aus der Nachbarschaft Notausgaben einzurichten. Die “Holsteiner Nachrichten” waren so durch den Zusammenschluss der “Elmshorner Nachrichten”, des “Pinneberger Tageblatts” sowie der “Uetersener Nachrichten” entstanden. Die erste Ausgabe erschien am 3. Mai 1943. Die Lokalredaktionen blieben eingeschränkt erhalten, gedruckt wurde aber nur noch in Pinneberg. Noch am 3. Juli 1944 – zehn Monate vor Kriegsende – wurde auf Antiqua-Schrift umgestellt. Auch in diesem Fall wurde der Wechsel ausführlich begründet:
“Mit dem heutigen Tage sind die ‘Holsteiner Nachrichten’ auch in ihrem Textteil zur deutschen Normalschrift übergegangen. Die Gründe, aus denen diese Schrift in den Schulen eingeführt wurde, und sie auch nach und nach für die deutsche Presse zur Anwendung kommt, sind früher schon einmal erörtert worden. Zeitentwicklung und Blick in die Zukunft sind die maßgebenden Faktoren. Trotzdem wir schon seit längerer Zeit den Anzeigenteil in der Normalschrift setzen – der Buchdrucker nennt sie Antiqua, der Schreibende “lateinisch” – wird manchem Leser doch diese Schrift zunächst ungewohnt sein. Die klare Einfachheit und Schönheit ihrer Züge jedoch wird – wie die Erfahrung lehrt – sehr bald die Anerkennung des Lesers gewinnen.”
Der “Blick in die Zukunft” war hier also angeblich ein maßgebender Faktor für die Schriftumstellung, und es ist die Frage, ob der Redakteur damit in einem Anflug von NS-ferner Ironie bereits die Besatzungszeit voraussah. Bemerkenswert ist außerdem, dass weder in der Begründung der „Holsteiner- noch der der „Flensburger Nachrichten“ von einem Führererlass oder den “Schwabacher Judenlettern” die Rede ist. Alle anderen zu diesem Zeitpunkt noch existierenden regionalen schleswig-holsteinischen Tageszeitungen erschienen bis Kriegsende – sofern sie nicht schon früher eingestellt werden mußten – unverändert in Fraktursatz.
“Gothic type will not be used”.
Nach Kriegsende wurde die Herausgabe von regionalen Tageszeitungen von der britischen Militärregierung generell verboten. Bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 erlaubte sie den kleinen regionalen Zeitungen nur den Aushang von Anzeigenblättern, die in Auflagen von nur wenigen Exemplaren gedruckt werden durften. Allerdings wurden von der Besatzungsmacht an wenige parteigebundene Zeitungen Lizenzen vergeben, wie zum Beispiel an die „Kieler Nachrichten“ (CDU), die „Schleswig-Holsteinische Volkszeitung“ (SPD) und das „Norddeutsche Echo“ (KPD). Alle Lizenzausgaben erschienen in Antiquaschrift. Bezüglich der Satzschrift hieß es etwa im Lizenzvertrag einer Hamburger Zeitung: “Gothic type will not be used.” Die Fraktur hatte sich inzwischen überlebt. Das zeigte sich seit Herbst 1949, als die Herausgabe von Regionalzeitungen auch in Schleswig-Holstein wieder ohne jegliche Auflagen möglich wurde. Keines der Blätter erschien in Fraktur. Einzige Ausnahme blieb der „Wesselburener Marschbote“. Noch bis 1951 druckte er die lokalen Nachrichten in Fraktur, die auswärtigen hingegen in Antiqua.
Michael Plata (TdM 1103 /0721)
Quellen: Ute Haese und Torsten Prawitt-Haese, Dem Leser ein Halt in schwerer Zeit. Schleswig-holsteinische Pressegeschichte 1945-55, Hamburg, 1994; Silvia Hartmann, Fraktur oder Antiqua. Der Schriftstreit von 1881 bis 1941, Frankfurt a.M. 1998; Albert Kapr, Fraktur. Form und Geschichte der gebrochenen Schrift, Mainz, 1993