Vorgeschichte
Der Schleswig-Holsteinische Canal verband zwar seit 1784 über die Eider die Nord- mit der Ostsee, doch er war für die Schifffahrt des ausgehenden 18. Jahrhunderts dimensioniert, nicht für das beginnende Zeitalter der großen Dampfschiffe. Vor und nach der Annexion durch Preußen 1867 gab es zahlreiche Kanalprojekte. Erst zu Beginn der 1880er Jahre nahm der Plan jedoch Formen an. Der Anstoß kam vor allem durch den Hamburger Reeder Hermann Dahlström (*1840-1922†). Er legte als erster eine Denkschrift vor, die ökonomische (Wegvorteil zur Fahrt rund Skagen), militärische (Verlegung der Flotte von der Nord- in die Ostsee) und Sicherheitsaspekte (seinerzeit rund 200 Strandungen pro Jahr im Skagerrak) zusammenbrachte. Die Marine verhielt sich abwartend bis ablehnend. Der Durchbruch für den Kanal gelang erst, als Reichskanzler Otto von Bismarck (*1815-1898†) Kaiser Wilhelm I.(*1797/1861König/1871Kaiser-1888†)für das Projekt begeistern konnte. Aus dem von Dahlström geplanten privaten Kanalbau mit staatlicher Hilfe wurde ein nationales Großprojekt des neuen Kaiserreiches. Zwischen dem 9. Januar 1886 und dem 25. Februar 1886 verabschiedete der Reichstag das Projekt in drei Lesungen.
Die Baugeschichte …
Die Hauptlast der auf 156 Millionen Goldmark veranschlagten Baukosten übernahm Preußen. Am 3. Juni 1887 wurde durch den 90-jährigen Kaiser in Kiel der Grundstein gelegt. Bis Ende Juni 1895 hatten zwischen 2.500 und 9.000 Arbeiter mit der Hand, mit Nass- und Trockenbaggern über 80 Millionen Kubikmeter Erde ausgehoben, die Schleusen (25 Meter breit, 9.60 Meter tief, 135 Meter lang), acht Ausweichstellen (Weichen) gebaut, die Vorflut neu gestaltet, Uferböschungen befestigt, Telefon und Lichtanlagen installiert. Entstanden war ein Kanal von 98,65 Kilometern mit sieben Hoch-, Dreh und Schwimmbrücken nach den Vorgaben der Marine. Die hatte 42 Meter Durchfahrtshöhe unter den Brücken, neun Meter Tiefe sowie 22 Meter Sohlen und 67 Meter Spiegelbreite gefordert. Wilhelm II. weihte den Nord-Ostsee-Kanal ein, der zu Ehren seines Großvaters „Kaiser-Wilhlem-Kanal“ genannt wurde.
… endet nie
War der neue Kanal für die damalige Handelschifffahrt ausreichend, so erwies er sich jedoch bald für die ständig größer werdenden Kriegsschiffe als zu klein. So forderte die Marine – die das Projekt über lange Zeit gebremst hatte – bald den weiteren Ausbau des Kanals. 1907 begann bei laufendem Betrieb der erste große Ausbau des Kanals. Der Kanal musste auf elf Meter Tiefe, 44 Meter Sohlenbreite sowie 102 Meter Spiegelbreite gebracht werden. Auch hatten sich die Dreh- und Schwimmbrücken als hinderlich erwiesen. Mit Ausnahme der neuen Rendsburger Drehbrücke von 1913 (abgebaut 1961) wichen sie Hochbrücken. Spektakulärstes Projekt war dabei die Rendsburger Eisenbahnbrücke mit einer Länge von 2.486 Metern. 16.700 Tonnen Stahl wurden dafür verbaut, 3,1 Millionen Nieten halten die Konstruktion bis heute zusammen. In Brunsbüttel und Holtenau entstanden 330 Meter lange, 45 Meter breite sowie 12 Meter tiefe neue Schleusen, die als die größten der Welt galten und bis heute in Betrieb sind. Am 1. April 1914 wurde der Ausbau mit Gesamtkosten von 237 Millionen Goldmark abgeschlossen. Der Erste Weltkrieg, die Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre sowie der Zweite Weltkrieg ließen den Kanal nahezu verfallen.
Wieder Nord-Ostsee-Kanal
Die Alliierten ordneten 1948 an, den Kaiser-Wilhelm Kanal wieder in Nord-Ostsee-Kanal umzubenennen. Nach Sicherungsarbeiten in der Nachkriegszeit begann 1966 der nächste Ausbau. Während die Kanaltiefe bei elf Metern blieb, wurde die Sohle auf 90, die Spiegelbreite auf 162 verbreitert. Die Arbeiten sind bis heute nicht abgeschlossen. Die NOK abgekürzte, international „Kiel Canal“ genannte Wasserstraße, ist eine von drei interozeanischen Wasserstraßen (die anderen sind der Suez- [1869] und der Panamakanal [1914]) und trotz nachlassender Nutzung immer noch die meistbefahrene Wasserstraße der Welt. 50.000 Kanalpassagen galten über lange Jahre als Durchschnitt. Bis auf wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg ist der Kanal für den Staat ein Zusatzgeschäft geblieben. Rund 50 Millionen EURO kostet sein Erhalt pro Jahr im Durchschnitt. Mit den größer und schneller werdenden Schiffen vermindert sich der Wege- und Zeitvorteil durch den Kanal. Seit mehr als 20 Jahren wird deshalb darüber diskutiert, wie der NOK wieder attraktiver gemacht werden könne.
Neue Pläne
1999 befuhren nur 35.482 Schiffe den NOK. Damit war ein Tiefststand erreicht. Doch wird der Kanal durch die immer präziser vertakteten Fahrpläne gerade in der Linienfahrt mit Containerschiffen wieder attraktiver. Die Wasserstraße nimmt inzwischen eine zentrale Rolle für die sogenannten „Feederverkehre“ ein. Das sind die Zubringerdienste von und zu den Ostseehäfen vor allem von und nach Hamburg, wo die Container für den transozeanischen Verkehr gesammelt und verteilt werden. 2003 wurden wieder 40.000 Berufsschiffe gezählt. Mit über 72 Millionen Tonnen Güter wurde ein neuer Rekord erreicht. Er macht auch deutlich: die Schiffe werden immer größer. Die rund 100 Meter langen Feederschiffe für 370 TEU (das ist jeweils der halbe oder kleine Standardcontainer mit 20 Fuß Länge), werden inzwischen durch die gut 150 Meter langen für über 1.000 TEU verdrängt. Für die nächste Generation mit über 200 Metern für 1.500 TEU reichen die Dimensionen des Kanal nur auf den seit 1966 von Westen her ausgebauten 80 Kanalkilometern bis 18 Kilometer vor Kiel. Das letzte Stück durch das östliche Hügelland hat noch die Abmessungen des ersten Kanalausbaus von 1914. Das Stück wird als „Boddelneck“ – also Flaschenhals – bezeichnet. Hier hat der Ausbau inzwischen begonnen, der vor allem bedeutet das die Kurven begradigt werden. Zudem entsteht derzeit in Brunsbüttel eine weitere neu Schleuse.
Werner Junge (0201/1004/0721)
Literatur: „Nord-Ostsee-Kanal 1895-1995“, herausgegeben im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Wachholtz-Verlag, Neumünster, 1995, ISBN 3 529 05319 8; Carl Beseke, Der Nord-Ostsee-Kanal, Nachdruck der Originalausgabe von 1893 1982, St. Peter-Ording, Verlag H.Lühr & Dircks, ISBN 3-921416-23-X; Unterlagen des Wasser- und Schifffahrtsamtes Holtenau und der WSD Nord
Bildquellen: Vignette: Archiv Schleswag; Kaviarkarte: nach Beseke aus Christian Degn, Schleswig-Holstein eine Landesgeschichte – historischer Atlas, 2. Auflage, Neumünster, 1995, Wachholtz-Verlag; Holtenau: Stadtarchiv Kiel; Dampfbagger/Ausbauphasen/Schleusen/Statistik: Wasser- und Schifffahrtsamt Holtenau / WSD Nord