Alfred Bernhard Nobel auf einem Portrait von 1880
Alfred Bernhard Nobel auf einem Portrait von 1880

Oktober 1866 erfand Alfred Bernhard Nobel (*1833 -1886†) auf einem Floß in der Elbe in der Nähe Krümmels einen Sprengstoff, der die Welt verändern sollte. Wegen seiner enormen Stärke nannte er ihn nach dem griechischen Wort ‚dynamis‘ für Kraft „Dynamit“. Statt zehn Sprenglöcher für Schwarzpulver reichte nun eines, um Erz aus Gestein, Kohle aus Flözen oder Tunnel aus dem Fels zu sprengen. Gebraucht wurde der neue Sprengstoff weltweit. Er half den durch die Industrialisierung ausgelösten enormen Bedarf an Eisenerz und Kohle zu decken, ermöglichte es, Straßen, Kanälen und Gleisen den Weg zu bahnen. Ein Jahr nachdem der schwedische Chemiker und Geschäftsmann in Krümmel seine erste Fabrik im Ausland gegründet hatte, begannen damit sein Aufstieg und die 80-jährige Geschichte der Sprengstoffindustrie am Elbufer des Herzogtums Lauenburg.

Nitroglycerin und der Initialzünder

Alle Sprengstoffe funktionieren gleich. Ein fester Stoff verwandelt sich durch das Zünden in Sekundenbruchteilen zu Gas. Dabei dehnt er sich tausendfach aus und reißt alles mit. 500 Jahre wurde dazu allein Schwarzpulver benutzt. Doch das Pulver musste trocken gehalten werden und verqualmte bei der Explosion zu 40 Prozent. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden zwei neue Sprengstoffe bekannt. Erstens die Nitrocellulose oder Schießbaumwolle und das flüssige Nitroglycerin. Beide Stoffe haben ein Vielfaches der Sprengkraft von Schwarzpulver. Doch die Euphorie schlug bald in Angst um. Bei der Produktion von Schießbaumwolle kam es immer wieder zu verheerenden Unfällen. Nitroglycerin explodierte durch den kleinsten Schlag. Trotzdem begann die schwedische Familie Nobel Anfang der 1860er Jahre mit Nitroglycerin zu experimentieren. Der von dem Turiner Chemiker Ascanio Sobero 1847 gefundene Stoff schien trotz allem beherrschbarer als die Schießbaumwolle. Zudem war der Grundstoff Glycerin preiswert zu beziehen. Er entstand als Nebenprodukt der Seifenindustrie, die expandierte, weil Hygiene in der Industriezeit zu einem zentralen Thema wurde. Der Durchbruch gelang Alfred Nobel 1864. Am 15. Juli dieses Jahres meldete er ein Patent auf das „Zündhütchen“ an. Mit einer kleinen Menge Knallquecksilber konnte kontrolliert eine große Menge Sprengstoff gezündet werden. Mit dem Initialzünder schien das Nitroglycerin gezähmt. „Sprengöl“ nannte es Nobel und begann die Produktion in Schweden. Doch am schon am 3. 9.1864 zerstörte eine Explosion die kleine Fabrik in Helenenborg völlig. Unter den zahlreichen Opfern war auch Nobels jüngster Bruder Emil.

Der Neuanfang an der Elbe

Eines der ältesten Bilder vom Fabrikgelände in Krümmel aus den 1880er  Jahren. Die Korbflaschen dienten zum Transport von Nitroglycerin
Eines der ältesten Bilder vom Fabrikgelände in Krümmel aus den 1880er
Jahren. Die Korbflaschen dienten zum Transport von Nitroglycerin

In Schweden wurde es für Nobel nun schwierig. In Deutschland dagegen herrschte ein neuer, dem Fortschritt aufgeschlossener Geist. Er war nicht zuletzt durch den preußisch-österreichischen Sieg über Dänemark im zweiten Schleswigschen Krieg beflügelt worden. Der weltgewandte Unternehmer gründete deshalb am 21.6.1865 in Hamburg die Firma Alfred Nobel & Co. Elbaufwärts erwarb er „auf dem Krümmel“ ein 42 Hektar großes Ufergrundstück. Eingefaßt in hohe Erdwälle, entstand die neue Fabrik. 50 Mitarbeiter begannen April 1866 mit der Produktion von Sprengöl. Wie zuvor in Schweden hatte Nobel auch in Hamburg öffentlich Experimente vorgeführt, um davon zu überzeugen, daß Nitroglycerin sicher zu handhaben war. Schon im Mai flog jedoch ein Teil der neuen Fabrik in die Luft. Der Schaden war schnell repariert. Anders der öffentliche Eindruck. Das Sprengöl kam in Verruf. Schuld daran war der sorglose Umgang mit dem brisanten Material. In New York etwa kam es zur Explosion einer bei einem Hotelportier arglos deponierten Kiste, vor Panama flog ein Schiff in die Luft. Belgien verbot darauf die Nitroglycerinproduktion, in England wurde darüber diskutiert. Nobel mußte etwas unternehmen. Wie schon in Schweden zog er sich wieder auf ein Floß zurück, um einen Weg zu finden, das Sprengöl zu zähmen. Der Zufall half: Als eine Blechkanne Sprengöl auslief, passierte nichts. Die hochbrisante Flüssigkeit wurde von dem Kieselgur aufgesogen, das die Kanne in ihrer Kiste vor Schlägen schützen sollte. Nobel griff das auf. Das hochporöse Pulver aus den Panzern urzeitlicher Algen war offensichtlich mehr als ein Füllstoff. Auf einem Floß in der Elbe vor Tespe mischte Nobel drei Teile Sprengöl mit einem Teil gebrannten Kieselgur und setzte noch etwas Soda dazu. So ergab sich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der sicherer Handhabung und der Sprengkraft. Ein Kilo davon reichte, um drei Kubikmeter Fels zu sprengen. Da die weiße Erde zwischen Celle und Lüneburg in Massen abgebaut werden konnte, hatte Nobel neben dem Glycerin einen zweiten preiswerten Grundstoff gefunden. Seit Jahresbeginn 1867 war „Nobel’s Patent-Pulver Dynamit “ ab Werk Krümmel lieferbar. Nitroglycerin, das alles Unglück verursacht habe, sei aufgegeben, behauptete Nobel, es werde nur noch Dynamit hergestellt.

Der Siegeszug des Dynamit …

Bereit zum Versand in die ganze Welt: Dynamit und andere Produkte der Fabrik in Krümmel (Aufnahme um 1920)
Bereit zum Versand in die ganze Welt: Dynamit und andere Produkte der Fabrik in Krümmel (Aufnahme um 1920)

Trotz des neuen Namens blieben die Behörden zunächst reserviert, Nobel mußte den neuen Sprengstoff vorführen, Expertisen wurden verlangt. Beides zerstreute das Mißtrauen nicht. Zwar erhielt Nobel schließlich den amtlichen Segen, doch wie andere Explosivstoffe durfte Dynamit nicht per Bahn befördert werden. Die Obrigkeit hegte inzwischen Skepsis gegenüber „neuartigen Sprengstoffen“. Sie reagierte damit auf eine Art „Goldgräberstimmung“. Fachleute wie Hasadeure versuchten es, Nobel gleichzutun und auf den lukrativen Markt vorzustoßen. Immer wieder kam es dabei zu Unglücken. Doch der Siegeszug von Nobels Dynamit war nicht mehr aufzuhalten. Die Produktion in Krümmel verdoppelte sich fast jährlich. Alfred Nobel reiste nun rastlos. Zwei neue Fabriken wurden in Deutschland, zwei in Großbritannien, fünf weitere in Europa und zwei in den USA eröffnet. Acht oder neun bauten Konkurrenten in Ländern, in denen Nobel seine Patente nicht rechtzeitig hatte sichern können. 1870 wurde der Boom durch eine Serie von Unglücksfällen gebremst. Im Laufe dieses Jahres kam es auch in allen drei deutschen Nobel-Fabriken (Krümmel, Dünnwald bei Köln und Berlin) zu Explosionen. In England wurde sogar erwogen, Nobels Werke zu schließen. Wieder mußte er überzeugen, nicht das Dynamit, sondern der leichtsinnige Umgang damit führe zu Unfällen. Nobel durfte weitermachen. 1874 produzierte das Werk in Krümmel erstmals mehr als 3.000 Tonnen Dynamit.

… und sein Mißbrauch

Ein Postkarte von 1905. Über die Elbe blickt man auf die damals größte Sprengstoffabrik auf dem europäischen Kontinent in Krümmel
Ein Postkarte von 1905. Über die Elbe blickt man auf die damals größte Sprengstoffabrik auf dem europäischen Kontinent in Krümmel

Mit Hilfe des Dynamits konnte nicht nur der Rohstoffhunger der wachsenden Industrien gestillt werden, auch Revolutionäre und Anarchisten nutzten seine zerstörerische Kraft. In den 1880er Jahren kam es so häufig zu Dynamitanschlägen, dass für die Attentäter der Begriff „Dynamitarden“ geprägt wurde. Prominentestes Opfer wurde 1882 der russische Zar Alexander II. Im Deutschen Reich erließ man am 9.6.1884 das so genannte „Dynamit-Gesetz“ gegen den „verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen“. Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurde zum ersten Mal mit Dynamit gesprengt. Es war trotzdem der letzte „Schwarzpulverkrieg“. Die Gewehre und Kanonen feuerten wie seit 500 Jahren mit dem qualmenden Pulver. Ausgehend von Frankreich begann ein internationaler Wettlauf der Forscher. Gesucht wurde das „rauchfreie Schießpulver“. Am Ende gewann wieder Nobel. Er erreichte sein Ziel jedoch über einen Umweg. 1875 fand er heraus, dass sich in Kollodium getränkte Schießbaumwolle mit Nitroglycerin zu einer gallertartigen Masse mischen läßt. Die „Sprenggelatine“ war erfunden. Sie war nicht nur weitaus wirksamer als das Dynamit-Pulver, sondern auch wasserfest. Während das neue Produkt den Weltmarkt eroberte, forschte Nobel weiter. 13 Jahre brauchte er, um aus der Gelatine Schießpulver zu entwickeln. Januar 1888 meldete er „Ballistit“ zum Patent an. Es war nicht das erste, jedoch das beste „rauchfreie“ Schießpulver. Noch im gleichen Jahr begannen weltweit die Militärs umzurüsten. Erst „Ballistit“ ermöglichte den Bau von Maschinengewehren. Nobel selber hat sich nie öffentlich mit dem Mißbrauch und dem militärischen Gebrauch seiner Produkte auseinandergesetzt. Das geschah in Zeitungen wie auch literarisch durch Jules Verne, Émile Zola und August Strindberg.

„Der Krümmel“ nach Nobel

1915: Pulverrohmasse wird in Fässern gepackt auf den firmeneigenen Dampfer "Alfred Nobel" gestaut
1915: Pulverrohmasse wird in Fässern gepackt auf den firmeneigenen Dampfer „Alfred Nobel“ gestaut

1873 war Alfred Nobel von der Elbe an die Seine gezogen. Am 10.12.1896 starb er in San Remo. Er hinterließ 355 Patente, 90 Fabriken in 20 Ländern, ein Vermögen von 33 Millionen Schwedenkronen und ein Testament. Darin verfügte er die Stiftung der Nobelpreise. Auf dem Krümmel an der Elbe wuchs Nobels Fabrik weiter. Ihre Anlagen und Sicherheitstandards waren nicht nur für die anderen Werke Nobels Vorbild. An der Elbe wurden durch Gustav Aufschläger (*1853-1934†)auch die Grundlagen für den sicheren Einsatz von Sprengstoffen unter Tage gelegt. 1877 schon hatte Nobel seine Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.

Wissenschaftliches Laboratorium in Krümmel 1915
Wissenschaftliches Laboratorium in Krümmel 1915

Im gleichen Jahr entstand neben der Fabrik der Nobel AG die Pulverfabrik Düneberg, etwas stromab ein Jahr später die Pulverfabrik Tinsdal. Doch der Widerstand der Anlieger war inzwischen groß. So scheiterten elbabwärts weitere Ansiedlungen. Erst als das Verbot gefallen war, Sprengstoffe per Bahn zu transportieren, rechneten sich auch Standorte, die nicht am Wasser lagen. Nach 1900 entwickelte sich auf der Quickborner Heide ein zweites Zentrum der Sprengstoffindustrie mit vier Werken. Dort ereignete sich Februar 1917 das schwerste Explosionsunglück in der Provinz Schleswig-Holstein, bei dem mehr als 220 Menschen starben.

Zwei Kriege und das Ende

Produktion im Zweiten Weltkrieg: Mitarbeiter posieren beim Verladen einer Fliegerbombe
Produktion im Zweiten Weltkrieg: Mitarbeiter posieren beim Verladen einer Fliegerbombe

1910 war das Nobel Werk in Krümmel mit 600 Mitarbeitern die größte Sprengstoffabrik auf dem Kontinent. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wuchs auch das Werk in Krümmel stürmisch. Bis zu 2.750 Menschen zählte die Kriegsbelegschaft. Der Versailler Frieden erzwang die Demontage vor allem der Schießpulverherstellung. Bis 1932 sank die Zahl der Mitarbeiter auf 250. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde der Ausbau der Anlagen forciert. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden 300 Gebäude gebaut. 2.900 Menschen arbeiteten 1939 dort. Während des Krieges wurden es bis zu 9.000, darunter auch zahlreiche Zwangsarbeiter, die in drei Schichten für den „Endsieg“ produzierten. 500 weitere Gebäude entstanden während des Krieges. Am 30.4.1945 besetzten die Alliierten den industriellen Komplex. Er wurde von 1946 bis 49 demontiert und die Anlagen auf 13 Nationen verteilt. 1950 sprengte man die verbliebenen Gebäude und räumte das Gelände im Anschluss von Bomben und Blindgängern. 1952 waren diese Arbeiten erledigt. Damit endete die Geschichte der Sprengstoffindustrie in Schleswig-Holstein. Das Gelände wurde in den Folgejahren verkauft. Unter anderem siedelte sich dort die Großforschungsanlage GKSS an. Die Hamburgischen Elektriciätswerke (HEW) bauten auf dem Gelände der ehemaligen Fabrik Nobels das Kernkraftwerk Krümmel.

Nach der Demontage und der Sprengung wurde das Werksgelände Anfang der 1950er Jahre unter schwierigsten Bedingungen "entseucht"
Nach der Demontage und der Sprengung wurde das Werksgelände Anfang der 1950er Jahre unter schwierigsten Bedingungen „entseucht“

Werner Junge (TdM 1202/0621)

Hinweis: In den 80 Jahren, die „auf dem Krümmel“ Sprengstoffe und Munition produziert wurden, kam es immer wieder zu Explosionen und Bränden, bei denen 74 Menschen (Karl Gruber) starben. Die von Nobel gebaute Fabrik galt dabei als sicher und setzte auch die Standards für die ersten Vorschriften zum Bau solcher Fabriken. Dass es nicht überall so war und auch leichtsinnig bis fahrlässig versucht wurde, im „Wachstumsmarkt“ Sprengmittel Gewinne zu machen, macht der Aufsatz von Stefan Wendt „Zur Geschichte der Pulverfabrik Tinsdal 1877-1903“ anschaulich. Er ist erschienen in „Dünger und Dynamit“, Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Band 31, Neumünster, Wachholtzverlag, ISBN 3-529-02931-9

Tipp: In Geesthacht gibt es den Förderverein Industriemuseum, www.industriemuseum-geesthacht.de, der auch historische Spaziergänge über das ehemalige Krümmeler Werksgelände organisiert. 

Quellen: Stefan Wendt, Kiel; Jörg Schumacher, Geschichtliche Entwicklung der Explosivstoffe, Ochtrup; MegaDOK – Informationsdienst, Magdeburg; Karl Gruber, Der Krümmel – Die erste Dynamit-Fabik Alfred Nobels, 1980, Geesthacht, Verlag Walter Flügge; Friedrich Trimborn, Explosivstoffabriken in Deutschland, 1995, Köln; Walter Greiling, Chemie erobert die Welt, 1938, Wilhelm-Limpert-Verlag

Bildquellen: Alle Bilder sind mit Einverständnis des Autors und der Alfred Nobel AG entnommen aus: Karl Gruber, Der Krümmel – Die erste Dynamit-Fabik Alfred Nobels, 1980, Geesthacht, Verlag Walter Flügge