Lagereingang des "DP"-Lagers Jägerslust, ehemaliger Landkreis Rendsburg. Der deutschen Polizei war der Zugang in den ersten Jahren vollständig untersagt und später nur unter erheblichen Auflagen möglich.
Lagereingang des „DP“-Lagers Jägerslust, ehemaliger Landkreis Rendsburg. Der deutschen Polizei war der Zugang in den ersten Jahren vollständig untersagt und später nur unter erheblichen Auflagen möglich.

Kriegsgefangene, Flüchtlinge, Vertriebene, Spätheimkehrer: Begriffe, die mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden sind. Weitgehend verdrängt sind dagegen die „DPs“. Das Kürzel steht für das englische „Displaced Persons“. Der Begriff „displaced“ wird im Englischen für eine Sache verwendet, die sich an einem Ort befindet, an die sie nicht gehört. Die Westalliierten hatten 1944 daraus den Verwaltungsterminus „Displaced Persons“ gebildet und damit Zivilisten bezeichnet, die sie nach der Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 bei ihrem Vormarsch in den von Deutschen besetzten Gebieten und später im Reich selbst befreien würden: Frauen und Männer, Zwangsarbeiter und Häftlinge aus den Konzentrationslagern. Deutsche und Angehörige von mit dem Reich alliierten Staaten waren ausdrücklich ausgeschlossen.

Eine immense Aufgabe

In Schleswig-Holstein wartete auf die Briten eine immense Aufgabe. Tausende „DiPis“ sollten sich in Sammelzentren einfinden. Dort galt es, sie ärztlich zu untersuchen, notdürftig unterzubringen, zu versorgen und für die Heimreise vorzubereiten. In Schleswig-Holstein dürfte ihre Zahl zum Ende des Krieges deutlich über 200.000 gelegen haben. Als die Briten am 18. Juli 1945 zählen ließen, gab es noch 130.255 „DPs“. 75.972 davon waren Polen, 11.986 Italiener, 4.809 Jugoslawen, 4.629 Russen, 236 Niederländer, 159 Dänen, 129 Franzosen, 63 Belgier sowie 32.859 „Andere“. Zur letzten Gruppe gehörten vor allem Esten, Letten, Litauer und Ukrainer. Die Momentaufnahme zeigt: Die vermutlich ursprünglich größten Gruppen der sowjetischen wie auch die der „DPs“ aus westlichen Ländern waren zu diesem Zeitpunkt durch die Repatriierung bereits auf kleine Reste zusammengeschmolzen.

Furcht vor der Heimkehr

 Abiturfeier im "DP"-Lagergymnasium Lippstadt/Westfalen im Jahre 1946. Hinter der Rednerin Radomira Sawaryn hängt umkränzt das Bildnis Wladyslaw Sikorskis, der von 1939 bis zu seinem Tod beim Flugzeugabsturz im Juli 1943 bei Gibraltar Chef der polnischen Exilregierung in London war. Wie auch der gekrönte polnische Adler war Sikorski Symbol des Protestes gegen die Sowjetisierung Polens.
Abiturfeier im „DP“-Lagergymnasium Lippstadt/Westfalen im Jahre 1946. Hinter der Rednerin Radomira Sawaryn hängt umkränzt das Bildnis Wladyslaw Sikorskis, der von 1939 bis zu seinem Tod beim Flugzeugabsturz im Juli 1943 bei Gibraltar Chef der polnischen Exilregierung in London war. Wie auch der gekrönte polnische Adler war Sikorski Symbol des Protestes gegen die Sowjetisierung Polens.

Die schnelle Repatriierung löste bei den sowjetischen „DPs“ keineswegs uneingeschränkte Freude aus. In den Dörfern war später häufig zu hören, die Russen seien ungern gezogen, weil sie sich im Lande trotz der Zwangsarbeit wohl gefühlt hätten. Der Grund war eher, dass den Frauen und Männern klar war, was sie in der Sowjetunion erwartete. Es drohten ihnen langjährige Lagerhaft, mindestens jedoch gesellschaftliche Ächtung, denn sie galten pauschal als Kollaborateure. Während der Konferenz von Jalta im Februar 1945 hatte Stalin gefordert, alle Sowjetbürger müßten in die Union zurückkehren. Die UdSSR wollte so die enormen Verluste an Menschen ausgleichen. Es ging auch darum, das Gesicht zu wahren, angesichts größerer Gruppen, von denen man wußte, dass sie nicht in die UdSSR zurückkehren wollten. Die Briten erfüllten die Vereinbarungen von Jalta, schickten die Russen trotz deren Proteste zurück und verstießen damit gegen das westliche Prinzip des Asyls. Sie wollten damit die Rückkehr der eigenen Soldaten sichern, die von der sowjetischen Armee befreit worden waren. Aus dem Umfeld des Lagers Jägerslust (ehemaliger Landkreis Rendsburg) ist der Fall eines ukrainischen „DPs“ dokumentiert, der sich im September 1945 das Leben nahm, als er seine Zwangsrepatriierung nicht mehr verhindern konnte. Es wird kein Einzelfall gewesen sein.

Polen ohne Heimat

Logo der Hilfsorganisation, die nach 1947 für Repatriierung und Resettlement der "Displaced Persons" zuständig war.
Logo der Hilfsorganisation, die nach 1947 für Repatriierung und Resettlement der „Displaced Persons“ zuständig war.

Da die Kapazitäten des weitgehend zerstörten Schienennetzes nach Osten mit den Rücktransporten der sowjetischen „DPs“ und ehemaligen Kriegsgefangenen über Monate ausgelastet waren, konnte erst im Spätherbst 1945 daran gedacht werden, die polnischen „DPs“ zurückzuführen. Als die ersten Transporte zusammengestellt werden sollten, mussten die Briten feststellen, dass die Bereitschaft zur Rückkehr nur sehr bedingt vorhanden war. Churchill und Roosevelt hatten 1941 in der Charta Atlantica als Kriegsziel die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker bei der Wahl ihrer Regierungsformen und bei der Regelung ihrer territorialen Streitigkeiten festgelegt. Für die polnischen „DPs“ in den Lagern der westlichen Besatzungszonen muss diese Aussage wie Hohn geklungen haben. Von einem Selbstbestimmungsrecht konnte weder hinsichtlich der Regierungsform noch der territorialen Ausgestaltung im Nachkriegspolen die Rede sein. Die Sowjetunion hatte eine von ihr abhängige Provisorische Regierung eingesetzt und Ostpolen in die UdSSR eingegliedert. Gleichzeitig wurde der polnischen Exilregierung, die seit 1940 ihren Sitz in London hatte, von den Westmächten die Anerkennung entzogen. Die Polen enttäuschte dies zutiefst, weil die Exilregierung mit den ihr unterstehenden Soldaten von 1939 bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 der wichtigste Verbündete der Briten war. In ein freies Polen konnten die polnischen „DPs“ also nicht reisen. Für diejenigen, die aus Ostpolen stammten, bedeutete die Rückkehr, sich in der Sowjetunion ansiedeln zu müssen. Keine verlockende Perspektive, wie die Ostpolen bereits in der Zeit von 1939 bis 1941 während der russischen Okkupation erlebt hatten, während der wahrscheinlich über eine Million Menschen in das Innere der Sowjetunion deportiert worden waren. Als im Frühjahr 1946 nach einer Winterpause die Transporte wieder aufgenommen werden sollten, war so die Bereitschaft der Polen zur Repatriierung weiter zurückgegangen. Ein Konflikt mit den Briten konnte nicht ausbleiben, denn die wollten sich der aufwendigen Verwaltung der „DP“-Lager entledigen und fürchteten weitere Reibungen mit der Sowjetunion. Auch Balten und Ukrainer wollten nicht in ihre sowjetisierte Heimat zurückkehren. Bei einer Befragung in den Lagern Schleswig-Holsteins sprachen sie sich zu fast einhundert Prozent gegen eine Repatriierung aus. Viele von ihnen waren erst mit der zurückweichenden Wehrmacht nach Deutschland gekommen.

Wartesaal-Atmosphäre

"DP"- Ausweis ausgegeben von der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO).
„DP“- Ausweis ausgegeben von der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO).

So richteten sich die „DPs“ in den Kasernen und Holzbaracken ein. Lagerleitungen versuchten ihren Handlungsspielraum gegenüber den Briten auszudehnen. Es entstand ein Netz von Schulen in den nach Nationalitäten gegliederten Lagern. An Lagergymnasien konnten Abiturkurse belegt werden, für „DP“-Studenten wurden in Kiel an der Christian-Albrechts-Universität Studienplätze freigehalten und in Pinneberg wurde eine baltische „DP“-Universität gegründet. Im September 1946 gab es in Schleswig-Holstein 25 polnische Lagerpriester, meist Überlebende des Konzentrationslagers Dachau. Eigene Lagerzeitungen halfen dabei, eine neue Orientierung zu finden. Theatergruppen wurden gegründet, und „DP“-Lagerauswahlen spielten gegeneinander Fußball. Ruhe und Beschaulichkeit wollte sich in dieser Wartesaal-Atmosphäre allerdings nicht einstellen. Im Gegenteil: Im Frühjahr 1947 eskalierte die Situation. Zwei Jahre nach Kriegsende befand man sich immer noch im Land des verhaßten Feindes, die Konflikte mit den verbündeten britischen Besatzern spitzten sich zu. Die Untätigkeit vieler „DPs“ und die Beteiligung einiger „DPs“ an der Nachkriegskriminalität sorgten auch innerhalb der Lager für massive Spannungen. Die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen, die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) scheiterte an diesen Aufgaben. Sie wurde 1947 abgelöst durch die International Refugee Organization (IRO). Die IRO konnte am 15. Mai 1947 für die noch 54.247 „DPs“ in Schleswig-Holstein die Auswanderung nach Übersee in Aussicht stellen. Das „Regional Processing Centre“ in Wentorf bei Hamburg wurde nun für viele die wichtigste Station auf dem Weg nach Übersee. Australien, die USA, Kanada und Großbritannien nahmen die meisten DPs auf. Schon bald wurde allerdings deutlich, dass keineswegs alle auswandern konnten. Die Auswahlkriterien Jugend und Gesundheit, die von den meisten Auswanderungsprogrammen gefordert wurden, konnten von vielen nach all den Jahren der Zwangsarbeit und in den „DP“-Lagern nicht mehr erfüllt werden. Als am 1. Juli 1950 die Verwaltung der „DPs“ in die Hände der jungen Bundesrepublik übergeben wurde, lebten immer noch 9.000 nun als „Heimatlose Ausländer“ bezeichnete Personen in Lagern in Schleswig-Holstein. Erst im Frühling 1962 wurden die letzten Lager in Rendsburg, Neustadt, Lübeck und Geesthacht geräumt. Den Bewohnern wurden kleine Sozialwohnungen zugewiesen. Einige dieser „Heimatlosen Ausländer“ sind bis heute Teil der schleswig-holsteinischen Gesellschaft.

Ein Problem wird verdrängt

"DP"-Resettlement mit dem Überseedampfer. Eine Postkarte aus den USA an in Schleswig-Holstein verbliebene "DPs".
„DP“-Resettlement mit dem Überseedampfer. Eine Postkarte aus den USA an in Schleswig-Holstein verbliebene „DPs“.

Von der deutschen Nachkriegsgesellschaft ist die Problematik dieser Menschengruppe bestenfalls am Rande wahrgenommen worden. Die Erinnerung bezieht sich meist ausschließlich auf die „DP“-Kriminalität, die an bestimmten Brennpunkten Probleme machte, aber nicht dem großen Echo der damaligen Presse entsprach. Ein Bewusstsein dafür, dass es sich „bei diesem Personenkreis um die bevölkerungs- und arbeitspolitische Hinterlassenschaft der nationalsozialistischen Herrschaft im Zweiten Weltkrieg handelte“ (Jacobmeyer), war in der deutschen Bevölkerung kaum ausgeprägt. Erst die Diskussion um die Entschädigung der Zwangsarbeit hat Ansätze zur Revision der Einschätzungen gebracht.

Karsten Dölger (TdM 0501/0303/0621)

Quelle: Karsten Dölger, „Polenlager Jägerslust“ (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 110), Neumünster 2000, Wachholtz Verlag, ISBN 3 529 02210 1

Bildquellen: alle Archiv Karsten Dölger