Am 29. Mai 1865 wurde in Kiel die „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ (DGzRS) gegründet. Sechs Jahre bevor das deutsche Kaiserreich wieder erstand gelang es damit, die seit den 1860er Jahren lokal und regional operierenden Seenotretter zwischen Ems und Danzig zu organisieren. Adolph Bermpohl (*1833-1887†) und Arwed Emminghaus (*1831-1916†) hatten es geschafft, die privaten Rettungsvereine von Emden, Bremen, Hamburg, Kiel, Lübeck, Rostock, Stralsund und Danzig zu vereinen. Die Zentrale kam nach Bremen und damit dorthin, wo der Aufbau des Rettungswerkes begonnen hatte. Seit Anbeginn versteht sich die DGzRS als staatsferne und allein durch die Bürger getragene Organisation. Sie hat bisher 81.000 Menschen aus Seenot gerettet.

„Schipp op Strand“

Das Drama einer Strandrettung wie es in den 1860er Jahren dargestellt wurde
Das Drama einer Strandrettung wie es in den 1860er Jahren dargestellt wurde

1776 entstand bei Liverpool eine erste Rettungsstation, 1824 schon bildete sich im vereinigten Königreich ein Zusammenschluss örtlicher Initiativen, der schließlich 1854 in der „Royal National Lifeboat Institution“ einheitlich zusammengefasst wurde. In diesem Jahr wurde auch das erste selbstaufrichtende Ruderrettungsboot entwickelt und die Rettungsweste aus Kork erfunden. Im November desselben Jahres sorgte an der ostfriesischen Küste die Strandung des Auswanderschiffes „Johanne“ vor Spiekeroog für Aufsehen. Keiner eilte dem in Sichtweite vor dem Strand zerschellenden Schiff zur Hilfe. Nach drei Tagen waren 84 der über 200 Passagiere grausam umgekommen. Das Retten von Gestrandeten erschien unmöglich, das Ausplündern der Wracks als natürliches Recht der Insulaner. Am 7.September 1864 strandete vor Spiekeroog der französische Frachtsegler „Gangnerie“. Das neue Rettungsboot wurde zum Strand gezogen und es gelang Vormann Janssen und sieben weiteren die fünf Seeleute von einem Floss zu retten. In nur zehn Jahren hatte sich nicht nur auf Spiekeroog vieles verändert.

Neues Denken durch die „Alliance“

Im September 1860 war die Brigg „Alliance“ vor Borkum gestrandet. Alle Versuche Hilfe zu organisieren scheiterten. In der Vegesacker Wochenschrift ereiferte sich ein zunächst anonymer Autor: „Ist es nicht eine Schande für ganz Deutschland, daß so etwas an seinen Küsten vorkommen kann? Warum werden, wie in England, nicht auch an unseren Küsten Rettungsboote stationiert mit einer fortwährenden Küstenbewachung?“ Geschrieben hatte diese Zeilen der Vegesacker Navigationslehrer Adolph Bermpohl. Er fand einen Mitstreiter in dem Advokaten Dr. Carl Kuhlmay (*1830-1886†) und bald gelang es den Beiden, Aufrufe in anderen norddeutschen Zeitungen zu platzieren.

Von Emden nach Kiel

Die hier vereinfacht wiedergegebene sogenannte „Kaviarkarte. sie zeigt die Strandungen und Schiffsuntergänge in Nord- und Ostsee von 1853 bis 1885 und sollte für den Bau des Nord-Ostseekanals werben
Die hier vereinfacht wiedergegebene sogenannte „Kaviarkarte. sie zeigt die Strandungen und Schiffsuntergänge in Nord- und Ostsee von 1853 bis 1885 und sollte für den Bau des Nord-Ostseekanals werben

„76 Schiffe strandeten von 1854 bis 1861 an unserer Küste und 118 Menschen kamen dabei ums Leben. Die meisten hätten gerettet werden können.“ – schrieb der Emdener Oberzollinspektor Georg Breusing (*1820-1882†). Während die staatlichen Stellen noch nach den Problemen suchten, gründete er den ersten Verein zur Rettung Schiffbrüchiger. Das Signal von Emden lief die Küste entlang, erreichte schließlich auch die Ostsee. Doch allein auf örtlicher Basis war die Seenotrettung nicht zu leisten. Der Bremer Redakteur Emminghaus begann deshalb mit allen Vereinen, allen Stellen zu korrespondieren. Am 29. Mai 1865 kam es dann schließlich in Kiel zur Gründung der DGzRS. Warum die Wahl auf Kiel fiel, ist in den Archiven der Gesellschaft nicht belegt. Christian Stipeldey, Historiker und heute Sprecher der DGzRS hat sich mit der Frage befasst. Ihm scheinen zwei Versionen denkbar. Einmal die, dass es sich gerade nach dem Sieg über Dänemark 1864 gut machte, Kiel auszuwählen, um eine Gesellschaft für die gesamte Küste zu schaffen – also eine symbolische Ortswahl. Zum anderen die: Kiel bot sich einfach an, weil es ziemlich in der Mitte zwischen Danzig und Emden liegt.

Aufbau mit Mörsern und Raketen

Auf dem Bild von 1890 ist zu sehen, wie die Rettungsleute versuchen, eine Leine zum Havarierten zu schießen
Auf dem Bild von 1890 ist zu sehen, wie die Rettungsleute versuchen, eine Leine zum Havarierten zu schießen

Schon nach einem halben Jahr hatte die junge DGzRS knapp 4.000 Mitglieder, 5.000 Taler Beiträge, 14.000 Taler Spenden waren eingegangen, es konnte beginnen. Zuerst galt es an den Küsten und auf den Inseln Freiwillige zu finden. Das gelang mit großen Mühen. Zunächst wurden Fischerboote eingesetzt, doch sie bewährten sich nicht. Auch die englischen Rettungsboote taugten an den fast durchgehend flachen deutschen Küsten nicht. Und: diese Boote waren zu schwer, um auf Transportwagen durch oft tiefen Dünensand zum Einsetzort gezogen zu werden. Das „Deutsche Normal-Rettungsboot“ wurde deshalb aus „kanneliertem Stahlblech“ gebaut. Das Boot, die Korkwesten waren ein Teil der Ausrüstung. Als weit schwieriger erwies sich die Aufgabe, Apparate zu entwickeln mit denen Leinen auf gestrandete Schiffe geschossen werden konnten. Der englische Kapitän George William Manby hatte dafür einen Mörser erfunden. 1866 wurde ein solches Gerät auf Sylt stationiert. Es bewährte sich nicht und schließlich wurde von der DGzRS ein Raketenapparat entwickelt. An der auf das Schiff geschossenen Leine konnten mit einer Hosenboje die Havarierten geborgen werden.

Von der Strand- zur Seerettung

1875 gab es an den deutschen Küsten schon 91 Rettungsstationen, waren schon 870 Menschenleben gerettet worden. Und: in diesem Jahr wird das Sammelschiffchen erfunden. Die DGzRS –Leute waren damals vor allem Strandretter. Auf dem Meer, außer Sichtweite des Landes, blieben Seenotfälle noch lange meist einsame Dramen. Das änderte sich erst von 1900 an. Vor allem auf der stetig zunehmenden Anzahl der Dampfer gab es nun Morsegeräte. 1904 wurde das Morsekürzel CQD als Notsignal eingeführt, von 1908 an durch SOS ersetzt. Nun waren rund um die Ostsee und die Deutsche Bucht Notrufe auch an Land zu empfangen. Doch die Ruderrettungsboote taugten nicht für den Einsatz auf See. 1911 wurde das erste Boot mit einem 28-PS-Benzin-Motor ausgerüstet. Erst 15 Jahre später kamen Dieselmotoren auf die nun gedeckten Boote und machten damit die DGzRS seefest.

„Rotes Kreuz“ statt „Hansekreuz“

Die "Hindenburg" mit roten Kreuz und Turm im Kriegseinsatz
Die „Hindenburg“ mit roten Kreuz und Turm im Kriegseinsatz

Die DGzRS war seit Anbeginn ein Freiwilligenwerk, getragen von den Spenden der Bevölkerung. Aus Sicht der Nazis spiegelte sich darin ihr Gedanke der „Volksgemeinschaft“. Deshalb lobten sich die neuen Machthaber als Förderer des Rettungswerks. Im Ergebnis führte das dazu, dass der DGzRS die Gleichschaltung im NS-Staat weitgehend erspart blieb. Sie konnte, von 1939 durch den Krieg eingeschränkt, weitgehend ihre Strukturen bewahren und ihren Rettungsdienst im Sinne der Genfer Konvention fortsetzen. Mit Kriegsbeginn wurde das Hansekreuz nur noch als Flagge gefahren, die weißen Boote selber wurden durch große rote Kreuze als Retter kenntlich gemacht. Nun galt häufig, im Wasser treibende Schiffbrüchige oder abgeschossene Flugzeugbesatzungen von „Freund und Feind“ zu suchen. Die Techniker kamen deshalb auf die Idee, die Boote mit einem turmartigen Aufbau zu versehen. Dadurch konnten die Retter weiter sehen.

Neustart mit halber Kraft

Die DGzRS hatte während des Krieges Menschenleben ohne Ansehen der Nation gerettet. Deshalb duldeten die alliierten Besatzer in den Westzonen nach 1945 den Wiederaufbau nicht nur, sie förderten ihn auch. Mit dem Ende des Krieges waren die 70 Stationen zwischen Lübeck und Memel verloren. 39 Motorrettungsboote gab es noch, 20 davon versahen auf Wunsch der Alliierten den Sondereinsatz in der Deutschen Bucht. Da die Zentrale in Bremen ausgebombt war, richtete die DGzRS eine provisorische Seenotleitstelle in Cuxhaven ein. Das gehörte zur britischen Zone. Und die Briten unterstützten das Rettungswerk tatkräftig. Sie sorgten für Betriebsmittel und überließen der Gesellschaft beträchtliche Vorräte hochwertiger Technik aus Beständen der Wehrmacht.

Krise und Aufbruch

Seit 1875 ist die 32-Zentimeter-Klasse das Rückgrat der ohne Steuermittel arbeitenden DGzRS
Seit 1875 ist die 32-Zentimeter-Klasse das Rückgrat der ohne Steuermittel arbeitenden DGzRS

1947 gelang es nach langem Handeln mit den in Bremen zuständigen Amerikanern die DGzRS als Institution zu erhalten. Damit durfte wieder um Mitglieder und Spenden geworben werden. Der Rückschlag kam mit der Währungsreform Juni 1948. Über Nacht waren die gesamten Barmittel der Gesellschaft nichts mehr wert. Festangestellte Rettungsleute wurden wieder zu Freiwilligen, Schiffe stillgelegt. Über die größte Not half der Verkauf einiger Bootsschuppen sowie großer Teile der von den Briten überlassenen Wehrmachtstechnik. Langsam erholte sich die Gesellschaft. Am 7. Februar 1952 konnte in Bremen die neue Zentrale bezogen werden.

Der Rettungskreuzer wird neu erfunden

Langsam sammelten sich auch wieder Finanzreserven an. DGzRS-Vorsitzender Herrmann Helms (*1989-1983†) gab seinem Inspektor Kapitän John Schumacher den Auftrag, den neuen Rettungskreuzer zu entwickeln. Gefordert war: unbegrenzte Seetüchtigkeit, doppelte Geschwindigkeit und Einsatz auf hoher See und in den flachen Küstengebieten. Im dritten Anlauf gelang das anscheinend Unmögliche. 1957 wurde die „Theodor Heuss“ in Dienst gestellt. 23,20 Meter lang, 20 Knoten schnell mit dem hohen offenen Fahrstand und dem in einer Wanne im Heck mitgeführten Beiboot ausgerüstet wurde das Schiff zum Symbol für die Deutschen Rettungskreuzer.

Die Katastrophe vom 23. Februar 1967

Schwer beschädigt aber mit laufender Maschine wurde die "Adolph Bermpohl" am 24. Februar 1967 gefunden
Schwer beschädigt aber mit laufender Maschine wurde die „Adolph Bermpohl“ am 24. Februar 1967 gefunden

An diesem Tag war der Seenotrettungskreuzer „Adolph Bermpohl“ vor Helgoland in einem Orkan unterwegs, um niederländische Fischer zu retten. Das gelang. Doch danach erfasste das Schiff eine wahrscheinlich 15 Meter hohe Grundsee. Am 24. Februar wurde der Kreuzer schwer beschädigt doch mit laufender Maschine treibend gefunden. Er war einmal durchgekentert. Von den niederländischen Fischern, von Vormann Paul Denker, Otto Schülke, Hans-Jürgen Kratschke und Günter Kuchenbecker fehlte jede Spur.

Neues Denken und die Einheit

John Schumacher entwickelte in den folgenden Jahren die  DGzRS-Flotte weiter. 1967 noch kam mit der „Paul Denker“ das erste Schiff in Fahrt, das komplett aus Aluminium gebaut war. 1975 gingen drei 44-Meter-Kreuzer in Dienst. Die größten Seenotretter der Welt. Zu groß und zu teuer im Unterhalt, wie Kritiker bald meinten. Leichtere auch einfachere Boote und Kreuzer waren schon im Einsatz als nach der Deutschen Einheit die DGzRS wieder die Seenotrettung bis zur Oder übertragen bekam. Der seit 1950 von der DDR staatlich organisierte Seerettungsdienst wurde durch das freiwillige Rettungswerk abgelöst.

Werner Junge (TdM 0515/1015/0521)

mehr zur Arbeit der Gesellschaft unter www.dgzrs.de

Literatur und Quellen: Hans Berber-Credner ,Hrsg. DGzRS „Vom Ruderboot zum Rettungskreuzer – Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“, Bremen, 1990; DGzRS, Jahrbuch 2015; Harry Kunz, Thomas Steensen, Das neue Sylt Lexikon, 2. Erweiterte Auflage, 2007, Neumünster, Wachholtz Verlag

Abbildungen: Archiv DGzRS; Kaviarkarte: nach Beseke aus Christian Degn, Schleswig-Holstein eine Landesgeschichte – historischer Atlas, 2. Auflage, Neumünster, 1995, Wachholtz-Verlag